In der Diskussion um die Verstrickung der Philosophie in Gewaltverhältnisse wurde den Spezifika des Antisemitismus in den vergangenen Jahren im deutschsprachigen Raum wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Im Zuge des Massakers der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg in Gaza hat antisemitische Gewalt in Deutschland zugenommen. Die Debatten darum betreffen auch die Hochschulen und Akteur:innen an den Universitäten. Die aktuelle Brisanz des Antisemitismus nehmen wir zum Anlass, um eine breitere Diskussion zum Themenkomplex ›Philosophie und Antisemitismus‹ anzustoßen. Die Tagung setzt es sich zum Ziel, Philosoph:innen, die in diesem Themenfeld arbeiten, in einen Austausch zu bringen. Leitend ist dabei die Frage nach einem reflexiv-kritischen Umgang mit Antisemitismus in der Philosophie, indem philosophische Theoriebildung auch ihre eigene Situiertheit zur Sprache bringt.
Philosophie als Reflexionswissenschaft sollte sich in die Lage versetzen können, sowohl ihr kritisches Potential zu erschließen als auch die eigenen Verstrickungen zu problematisieren. Dabei stellen sich grundsätzliche Fragen: Welche Rolle spielt die Philosophie in der Verdrängung und Legitimation des Antisemitismus? Über welche Ansätze und konzeptionellen Mittel verfügt sie, um Antisemitismus einer Reflexion und Kritik zu unterziehen? Welche Bedeutung können dabei insbesondere vernachlässigte jüdische Denktraditionen haben? In welchem Verhältnis stehen die Analyse und Kritik des Antisemitismus und des Rassismus zueinander? Ausgehend von diesen Fragen kommen vorläufig vier Problemkomplexe in den Blick.
1. Philosophische Legitimation des Antisemitismus: Auf einer ersten Ebene geht es darum zu fragen, inwieweit die Philosophie selbst zu einer Festigung und Fortschreibung von Antisemitismus beiträgt. Hinsichtlich der Philosophiegeschichte(n) stellt sich die Frage, welche Spuren die Herabwürdigungen und Ausschlüsse des Judentums in philosophischen Schriften den akademischen Institutionen der Philosophie hinterlassen haben. Daran schließen zugleich systematische Überlegungen dazu an, wie sich dies in Theorien, Grundbegriffen, Methoden und Selbstverständnissen niedergeschlagen hat, die das Philosophieren unserer Gegenwart prägen.
2. Philosophische Ansätze der Kritik: Es gilt, die Vielfalt der Ansätze zur Analyse- und Reflexionsfähigkeit antisemitischer Ideologien und Machtverhältnisse, die die Philosophie gemeinsam mit anderen Disziplinen entwickelt hat, in den Blick zu nehmen (z.B. im Kontext von kritischen Theorien, Existenzphilosophie, postkolonialen Theorien, analytischer Philosophie, Poststrukturalismus, Diskurstheorien, Phänomenologie, Psychoanalyse). Die Erklärungskraft verschiedener philosophischer Ansätze soll dabei vor dem Hintergrund der Komplexität des gegenwärtigen Antisemitismus geprüft und aktualisiert werden.
3. Aktualität jüdischer Denktraditionen: Nicht gleichzusetzen mit einer Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus und dem dadurch begründeten Ausschluss von Juden:Jüdinnen und dem Judentum aus den Institutionen und Universitäten ist die Frage nach den jüdischen Perspektiven und Denktraditionen selbst. Jüngere Forschungen deuten auf eine Vielzahl von Beziehungen zwischen jüdischem und nicht-jüdischen Philosophieren hin. Im Raum steht also die Frage, welches Potential jüdische Perspektiven und Denktraditionen für ein (heutiges) Selbstverständnis der Philosophie bergen.
4. Verhältnis von Antisemitismus- und Rassismuskritik: In öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten sind Antisemitismus- und Rassismuskritik in jüngerer Zeit in eine zunehmende Entgegensetzung gebracht worden. Zum einen geht es darum, die der Trennung, dem Widerstreit und der Konkurrenz zu Grunde liegenden philosophischen Annahmen in den Blick zu nehmen. Zum anderen stellt sich die Frage, welchen Beitrag philosophische Reflexionen für ein besseres Verständnis bzgl. der jeweiligen Leerstellen und Verknüpfungen leisten können. Antisemitismus und Rassismus gilt es in ihrer jeweiligen historischen und politischen Spezifizität zu verstehen, um eine produktive Auseinandersetzung zu ermöglichen, ohne dabei aus dem Blick zu verlieren, wie sie als zwei Seiten gesellschaftlicher Gewaltverhältnissen fungieren.
Mit diesem Call for Papers laden wir Interessierte aus der Philosophie und angrenzenden Disziplinen herzlich dazu ein, Vorschläge für eigene Beiträge zu den oben genannten Themenfeldern einzureichen.
Wir bitten um die Einreichung von Abstracts (300-350 Wörter) und kurzem CV bis zum 01.07.2025 unter der folgenden E-Mail-Adresse: philosophie-und-antisemitismus(at)uni-wuerzburg.de. Die Benachrichtigung über den Ausgang der Einreichung erfolgt im Verlauf des Sommers.
Für Vorträge ist ein zeitlicher Rahmen von maximal 30 Minuten vorgesehen, gefolgt von 30 Minuten Diskussionszeit. Alternative Formate jenseits des klassischen Vortrags, z.B. unter Bezugnahme auf eine diskriminierungskritische Didaktik oder Methodik, sind ausdrücklich willkommen und sollten ebenfalls für einen Rahmen von insgesamt 60 Minuten konzipiert sein. Die Arbeitssprache der Tagung ist deutsch. Vorträge können auch in englischer Sprache gehalten werden.
Reisekosten und Unterbringung für alle Beitragenden werden für den Zeitraum der Tagung voraussichtlich von den Veranstaltenden übernommen. Eine Kinderbetreuung wird nach Bedarf gestellt. Eine koschere Verpflegung ist möglich. Die Veranstaltungsräumlichkeiten sind rollstuhlgerecht zugänglich; weitere Informationen zum Thema Barrierefreiheit finden Sie unter: https://www.uni-wuerzburg.de/chancengleichheit/kis/barrierefreiheit-von-gebaeuden/.
Konzeption und Organisation:
Thomas Bedorf (Hagen), Matthias Flatscher (Würzburg), Steffen Herrmann (Hagen), Corinne Kaszner (Berlin), Frederek Musall (Würzburg), Hannah Peaceman (Jena)