Der 41. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie steht zweifelsohne im Zeichen einer erschütterten Weltgemeinschaft, und zwar in mehreren Hinsichten. Ins Zentrum globaler Diskurse ist anhaltend das Coronavirus SARS-CoV-2 gerückt. Mit dem Herunterfahren vieler gesellschaftlicher Funktionen, einer konzertierten Aktion zwischen Politik, Gesundheitswesen und Massenmedien, einer vielfach einsichtigen Bevölkerung und einer raschen Entwicklung von Impfstoffen wurde eine erstaunliche Anpassungsleistung vollbracht. Dennoch hat sich die Pandemie weltweit verbreitet; und nicht alle sind von ihren Folgen gleichermaßen betroffen. Abhängig von Kontinent, Region aber auch Klasse oder Geschlecht scheinen sich bereits bestehende Ungleichheiten wie Polarisierungen zu verschärfen. Maßnahmen zur Eindämmung werden nicht weltübergreifend, sondern nationalstaatlich eingehegt. Medikamente und Impfstoffe sind in vielen Regionen nur schwer oder gar nicht zugänglich. Zeitgleich zweifeln in besser und gut versorgten Ländern die Menschen die Wirklichkeit des Virus an und protestieren gegen die Maßnahmen. Parallel zu diesem widersprüchlichen Geschehen haben sich weitere Phänomene zugespitzt, in deren Kontexten Benachteiligungen, Ausgrenzungen und Differenzen sichtbar (gemacht) werden.
Erinnert sei an die zahlreichen Aktivitäten von Fridays For Future, die ihre Anstrengungen auf weltweit auftretende Klimaveränderungen richten und in ihrem Protest nicht auf individuelles Verhalten, sondern auf strukturelle Einschnitte setzen. Fridays For Future hat jungen Menschen weltweit eine Stimme gegeben und auf generationale Differenzen aufmerksam gemacht. Empörung und Wut über ausbleibende strukturelle Veränderungen, anhaltende Gewalt, Machtmissbrauch, Diskriminierung und Ausschluss von den Verheißungen der Moderne wie dem Anspruch auf Besonderheit, auf Freiheit, Autonomie und Recht eint zudem Menschen unter den Hashtags #blacklivesmatter und #metoo. In globalen Netzwerken verbreitet, entfalten Bewegungen wie diese eine starke Mobilisierungskraft: Ihre Forderungen verbreiten sich global, werden lokal angeeignet und in die Weltgesellschaft zurückgespeist. Einhergehend werden auch soziologische Diskurse in ungewohnter Dringlichkeit herausgefordert, – ob es nun um ihre theoretischen Traditionslinien geht, oder um die Analyse empirischer Phänomene. Im Fokus des DGS-Kongresses stehen vor diesem Hintergrund Vorträge und Diskussionen, die das Interesse an Polarisierungsprozessen aufnehmen: Wie entstehen Polarisierungen, wie verlaufen sie und mit welchen Folgen sind sie verbunden? Aber auch: Was läuft ihnen zuwider, irritiert oder hebt sie auf? Uns interessieren Beiträge, die diesen Voraussetzungen, Verläufen und Folgen an möglichst vielfältigen sozialen Konstellationen nachspüren.
Der Begriff der Polarisierung ist freilich kein Novum in der Soziologie, jedoch scheint er durch die aktuellen Ereignisse eine neuerliche Relevanz zu erfahren. Neben seiner Bedeutung für die Beschreibung gesellschaftlicher Entwicklungen der Gegenwart kann auf eine vergleichsweise lange Geschichte des Begriffskomplexes ›Polarisierung, Polarisation und Polarität‹ zurückgeblickt werden. Bereits beim ›6. Deutschen Soziologentag‹ 1928 wurde die Multipolarität von Denkstandorten im Zusammenhang mit Haltungen des Liberalismus, Konservatismus und Sozialismus diskutiert. Wir wollen den Begriff der Polarisierung an dieser Stelle weiten, ohne einen genuin soziologischen Zugriff aufzugeben. Damit betonen wir unter anderem, dass Polarisierungen nicht nur im Bereich des Politischen von Bedeutung sind, sondern ebenso zum Beispiel eine ästhetische, sozio-ökonomische oder kulturelle Dimension haben können. Die Polarisierung definiert Identitäten. Man ist, wovon man sich unterscheidet. Religiöse Zugehörigkeit, wissenschaftliche Orientierung, kulturelle Praktiken, Konsumstile und Stile unternehmerischen Handelns definieren sich durch das, was sie ablehnen, fast unabhängig von dem, was sie sind und tun. Zugleich eignet sich der Begriff der Polarisierung, um strukturell nach der sozialen Verortung von Lebensverhältnissen zu fragen.
Wir verwenden den Weltbegriff im Plural – sprechen also bewusst nicht von ›der polarisierten Welt‹, sondern von ›polarisierten Welten‹. Der Grund dafür ist, dass wir beobachten und genauer verstehen wollen, inwiefern Polarisierungsprozesse in vielfältiger Form vorkommen, koexistieren, aber auch aufeinandertreffen und einander – mit ihren jeweiligen ›Welten‹ – beeinflussen können. Welche Orientierungsleistungen haben sich in einer Gesellschaft, in ihrem Alltag ebenso wie in ihrem professionellen Handeln, derart abgeschwächt, dass Polarisierung, wenn die Diagnose stimmt, einen so dominanten Stellenwert gewinnt? ›Welten‹ lassen sich hier als Wirklichkeiten wie als Horizonte sozialen Handelns und Erlebens in ihren je unterschiedlichen Kontexten und kulturellen Perspektiven über ihre Praktiken bis hin zu ihren Materialitäten und ökologischen Einbettungen verstehen. Unter ›polarisierten Welten‹ lassen sich somit Polarisierungen zwischen unterschiedlichen Welten wie auch innerhalb dieser in den Blick nehmen. Entsprechend interessieren wir uns für die umfassende Spaltungen und Differenzierungen ebenso wie für Prozesse der Reintegration und dadurch entstehende symmetrische oder asymmetrische Verhältnisse des Sozialen. Als Beispiele sind die Beziehungen des Lokalen zum Globalen zu nennen, der virtuellen zu den physischen Wirklichkeiten, die Fraktionierungen im Bereich des Humanen und des Lebens wie der sozialen Mikrokosmen und ihren sozialen Makrokosmen. Als Vermittlungsebene kommen Organisationen auf der Mesoebene in Frage, die unterscheidbare Welten miteinander verknüpfen. Schließlich interessiert uns, dass auch die Soziologie bzw. Soziolog*innen selbst in Polarisierungsprozesse eingreifen können. In diesem Sinne überschneiden sich die uns interessierenden polarisierten Welten mit der Welt der Soziologie auf vielfältige Weise. Auch der diskursive und alltägliche Gebrauch von Welt-Begriffen ist dabei von Interesse, so etwa die Begrifflichkeit von den drei Welten (Erste, Zweite, Dritte Welt) während des ›Kalten Krieges‹ oder die neuere dichotome Einteilung der Welt in Globalen Süden und Globalen Norden. Neuere Debatten zur Dekolonialisierung und der damit einhergehenden Frage unserer Beteiligung an der Reproduktion imperialer Vorstellungen von Welt schließen daran an.
1. Phänomene polarisierter Welten
Aktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzungen und Soziale Bewegungen (zum Beispiel #blacklivesmatter, Fridays for Future aber auch die Gilets Jaunes) verweisen auf die erneute Konjunktur von Polarisierung. Dies wirft auch empirische Fragen nach der gegenwärtigen Verfasstheit ›Polarisierter Welten‹ auf. Neuere Forschungen, welche die vergangenen 200 Jahre in den Blick nehmen, weisen darauf hin, dass die ›soziale Schere‹ im Hinblick auf Einkommen und Vermögen heute weniger stark durch das Merkmal Klasse bestimmt ist, sondern durch den Wohnort bzw. die Bürger*innenschaft – und damit durch die sozial-räumliche Position. Zudem lassen sich zwei gegenläufige Tendenzen feststellen, die in das weltweite Gefüge von Einkommensungleichheiten eingreifen und entsprechende Wahrnehmungen beeinflussen: Einerseits nehmen die Ungleichheiten zwischen Ländern ab, andererseits nehmen in Rückgriff auf Milanović, Piketty und so weiter die Ungleichheiten innerhalb von Ländern sowie zwischen länderübergreifenden Einkommensklassen zu. Hier drängen sich auch Fragen der Skalierung von ›Welt‹ auf: Bezieht sich der Horizont der sozialen Zusammengehörigkeit auf den Nationalstaat (Kommunitarismus) oder auf die Menschheit (Kosmopolitanismus)? Soziale Räume in den Blick nehmend erscheint uns auch die Frage lohnend, ab welcher räumlichen Dimensionierung und ab welcher Reichweite soziale Beziehungen als Weltgemeinschaft oder Weltgesellschaft erlebt werden. In welchem Verhältnis stehen hierbei soziale und räumliche Praxis zum Beispiel im Hinblick auf Mobilität? Inwieweit verändert die voranschreitende Digitalisierung geteilte Erfahrungen, Zugehörigkeiten und soziale Beziehungen?
Zugleich möchten wir auf die historisierende Dimension des Kongressthemas hinweisen, ihre Bezugnahme auf Zeit- und Zukunftshorizonte. Uns geht es nicht nur um Gefahr und Risiko, sondern auch um Denk- und Gestaltungsspielräume, um wandelbare Vorstellungen des ›Es-könnte-auch-anders-seins‹, auf utopische wie dystopische Momente von Welten und des In-der-Welt-seins. Die durch Menschen verursachten Konsequenzen des Klimawandels polarisieren das Verhältnis von jüngeren und älteren Generationen, von Armen und Reichen und der Aushandlung dessen, in welcher Welt gelebt und überlebt werden kann. Die damit verbundenen Konflikte um die Zukunftsgestaltung sind komplex, aber ebenso elementar: Wie kann beispielsweise in Zukunft die Produktion von Lebensmitteln, eine Verteilung von Land und Meeresflächen oder eine globale Energiegewinnung aussehen, die gerecht ist und keine Lebensgrundlagen zerstört? Aushandlungen von Zukunft prägen ebenso die Gegenwart. In den vergangenen Jahren deuten zahlreiche Studien auf politische Polarisierungsprozesse hin, die sich hinsichtlich einer wachsenden Distanz zwischen unterschiedlichen Positionen und Meinungen beschreiben lassen. Zu nennen sind hier neue Verschränkungen von Milieus entlang der Achse Faktizität/Kontrafaktizität, pro und contra Evidenzbasierung und vieles mehr. Unterschiedliche Polarisierungen lassen sich auch zwischen und innerhalb der (Welt-)Religionen erkennen. Als Trittbrett genutzt, greifen sie in politische, wirtschaftliche und in private Dimensionen von Polarisierung ein. So etwa in Polarisierungsprozesse am Arbeitsmarkt, auch in Bereiche der Reproduktion wie jener der Bildung, der Sorgearbeit (Care) und der Gesundheitsversorgung.
2. Effekte und Wirkungen polarisierter Welten
Die Folgen von Polarisierung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für Demokratie und gesellschaftlichen Wandel, für die Meinungsbildung im öffentlichen Raum und die Chancen der Konfliktregulierung werden in verstärktem Maße diskutiert. Stellt Polarisierung per se eine Gefahr für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Demokratie dar oder ist sie (auch) ein notwendiger Bestandteil gesellschaftlichen Wandels? Diese Frage stellt sich für die Kämpfe und Auseinandersetzungen marginalisierter und ausgebeuteter gesellschaftlicher Gruppen, aber auch für die Debatten im Bürgertum und die intellektuelle Verständigung auf zustimmungsfähige Weltbilder. Denn Polarisierung kann auch mit ungewohnten Allianzbildungen, neuen Perspektiven und neuem Zusammenhalt einhergehen – oder eben diese unterbinden. Dies bedeutet, dass Polarisierungsprozesse nicht zwangsläufig zu ohnmächtigen und verlassenen Lebenswelten führen, sondern auch zu neuen Kontexten und Strategien der Bewältigung und Auseinandersetzung, die es zu verstehen gilt. Ist Polarisierung, wenn es um große gesellschaftliche Herausforderungen geht, eher Teil des Problems oder der Lösung? So kann Polarisierung einerseits demokratische Prozesse und Institutionen gefährden, andererseits Orientierung und Beteiligung stärken sowie Transparenz und Rechenschaftspflichten durchsetzen. Welche Räume und Formate stellt die Gesellschaft bereit, die Polarisierung zu reflektieren, die Einsicht in ihre Kontingenz zu fördern und zugrundeliegende Fragen nach dem Zusammenleben der Menschen zu stellen? Welchen Beitrag leistet die Soziologie zu dieser Reflexion und diesem Ausgleich?
Erfahrungen von Flucht und Migration schreiben sich global in unzählige Biographien ein – das Sterben flüchtender und migrierender Menschen im Mittelmeer ist zu einem drastischen Sinnbild hierarchisierter Welten geworden. Humanitäre Interventionen wie die Rettung von Schiffbrüchigen sind Gegenstand von äußerster Polarisierung in Europa geworden. Während auf der einen Seite eine stärkere Abschottung gefordert wird, kämpfen andere um deren Ende. Muss Polarisierung überwunden oder eher einkalkuliert werden? Beides kommt empirisch in Projekten der Welt(en)verbesserung vor. Die Bedeutung dieser Fragen tritt in historischer Perspektive besonders deutlich hervor. Während das ›Kommunistische Manifest‹ noch eine klare Trägergruppe einer wünschenswerten neuen sozialen Ordnung benennt, werden heute multiple Akteur*innen identifiziert, die in Begriffen wie ›Multitude‹ zum Ausdruck kommen. Besonderes Augenmerk ist hierzu in letzter Zeit auf die Polarisierungsinstrumente einer digitalen Gesellschaft gelegt worden. Das sogenannte ›Social Web‹ erzeugt neue Allianzen, die gesellschaftlich wie politisch Macht ausüben und zur Egalisierung von Ungleichheiten beitragen, jedoch über verschieden verteilte Zugangsmöglichkeiten gleichzeitig Ausschlüsse erzeugen können. Plattformen werden zu virtuellen Orten, auf die hingezogen wird und die genutzt werden, um Unentschiedene(s) aus Grauzonen auf bestimmte Seiten zu ziehen. Zugleich unterlaufen diese Plattformen etablierte Strukturen der Macht. Hinsichtlich sozialer Netzwerke lässt sich zudem beobachten, dass diese immer offener und ›bunter‹ werden, so zum Beispiel durch transnationale Kontakte und Beziehungen (aber nicht zwangsläufig in allen Milieus). Andererseits gibt es auch deutliche Schließungstendenzen der Art, dass weltanschaulich/mental geschlossene Gruppierungen an Bedeutung zunehmen, die eher kulturellen als materiellen Distinktionen folgen, verstärkt durch die Möglichkeiten der Digitalisierung (›Echokammern‹). Hier lautet eine übergeordnete Frage, inwiefern digitale Unterstützungssysteme bzw. soziotechnische Systeme zu einem Abbau oder zur Verstärkung von sozialen Ungleichheiten beitragen. Denn Systeme wie diese können Vorurteile nicht nur nicht beseitigen, sondern auch akzentuieren und gesellschaftliche Spaltung vorantreiben. ›Digitale Zwillinge‹, also Repräsentationen von realen Menschen als zunehmend reichhaltige und komplexe Datenkonglomerate sind nur wenig untersucht und eine gesellschaftliche Bewertung im Hinblick darauf, inwiefern sie tatsächlich Basis von Chancenzuweisungen sein können bzw. sollen, steht noch aus. Inwiefern sind beispielsweise Erkenntnisse aus Genomsequenzierungen aussagekräftig? Welche Aussagekraft haben prozessproduzierte Daten am Arbeitsplatz, beispielsweise für die Leistungsbewertung? Diskutieren wollen wir demnach auch Mechanismen, die (unerwünschte) Polarisierungen wieder einhegen oder nach Kompensationsmöglichkeiten fragen.
3. Soziologie polarisierter Welten
Über welche Pole und/oder Welten redet die Soziologie fast 100 Jahre nach den Debatten aus dem Jahr 1928 – und über welche nicht? Und welche Pole sind in bestimmten Zeitphasen besonders prominent? Zum klassischen Repertoire soziologischer Antworten gehören indes die Perspektiven auf Felder, Systeme, soziale Kreise, Lagen und Formen, Milieus und Lebenswelten oder auch Welten der Rechtfertigung. Darüber hinaus sind ›Neu- und Wiederentdeckungen‹ zu nennen, wie die (sozial-kulturelle) Klasse, die fragmentale Differenzierung, Subsinnwelten, Humandifferenzierung oder Nachahmungsstrahlen. Wir verstehen diese als eine offene Liste, deren Bearbeitung ein Gegenstand des Kongresses sein kann. Dabei geht es nicht exklusiv um mehr oder weniger neuartige Differenzierungen. Mit dem Begriff der Polarisierung sind über das Differenzierte hinaus Abstufungen seiner Intensität angesprochen, die bis zur Abschottung reichen. Dies wiederum stellt Beziehungen zu weiteren Ungleichheits- bzw. Vielheitsdimensionen her. Daran anknüpfend ist zu fragen, inwieweit der Beobachtungsstandort das Erleben und Handeln festlegt. Welche Welten sind nur von bestimmten und bestimmbaren Weltstandorten aus erfassbar? Von welchen Relationierungen zwischen ihnen können wir ausgehen: in Form von Konkurrenz, Konflikt, friedlicher oder feindlicher Übernahme, Überzeugung, Überredung, Übersetzung, Unterdrückung, Verflechtung, Interdependenz und vieles mehr? In welchem Bezug steht Polarisierung wiederum selbst zu anderen Konzepten, wie etwa Widerspruch, Dialektik, Dichotomie, Binarität, Paradoxie, Ambivalenz, Indifferenz, Antagonismus oder Entfremdung? Wie verhalten sich Polarisierung und Fragmentierung zueinander? Lässt sich die Wahrnehmung von Polarisierung ohne Mobilisierung denken? Heben sich die Einwirkversuche so vieler polarisierter Welten wechselseitig auf, oder gehen unterschiedliche Welten mit ungleichen Durchsetzungschancen einher? Wie stellen wir ›soziale Welten‹ und ›soziale Polaritäten‹ her? Welche Rolle spielen Körper, Materialitäten, Praktiken oder Semantiken hierfür? Wo und wie werden Polarisierungen vollzogen, realisiert und markiert? Auch die willkürliche oder unwillkürliche Herstellung strikter Differenz ist kein neues Phänomen. Soziale Medien, digitale Online-Plattformen wie auch das sogenannte Dark Web bieten zuvor ungekannte Möglichkeiten der Vergemeinschaftung ebenso wie des Polarisierens. Die hier entstehende Sozialität und die sie konstituierenden Praktiken als polarisierend zu beobachten, ist zudem nicht selbstverständlich und erfordert soziologische Reflexion: Wie ist es möglich, dass sich soziale Welten differenzieren und diese Welten dann auch noch als ›Polarisierungen‹ bewertet werden? Welche Bedeutung kommt bei der Entwicklung, Gestaltung und Regulierung dieser digitalen Sozialität Technologiekonzernen wie den ›Big Five‹ (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft) zu?
Schließlich: Die Soziologie kann sich nicht als große Ausnahme behandeln, sie ist in vielfacher Hinsicht Teil der Konstruktion von ›Polarisierung‹ und von ›Welt(en)‹. Sie beobachtet und stiftet schon damit Unterschiede; sie definiert, misst und schneidet auf diese Weise Welt(en) zu; sie schafft eigene Begriffswelten, bezieht auch in öffentlichen Debatten Stellung, was wiederum als Polarisierung beobachtet werden kann. Viele der gegenwärtigen existenziellen Krisen und Phänomene, die Teil der polarisierten Welten sind, stellt die Methodologien der Soziologie auf die Probe. Was manche als Pluralität für eine Stärke des Fachs halten, wird im milden Fall als ›Multiparadigmatase‹ (Luhmann) bezeichnet, die in schwereren Fällen offenbar zur Spaltung einer (Fach-)Gesellschaft führen kann. Auch wenn uns diese Polarisierung besonders nahe ist oder geht, liegt doch der Schwerpunkt unseres Themas darauf, dass wir in einer Welt voller polarisierter Welten auf vielfältigen Ebenen leben, die in vielschichtigen Weisen aufeinander bezogen sind. Solche Konstruktionen, Relationen und Effekte besser zu verstehen, soll den 41. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie kennzeichnen.