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Reichtum. Filmanalytische Sondierungen eines kulturellen Phänomens

Deadline: 30. Juni 2023

Reichtum und Macht scheinen geradezu mythisch verbunden zu sein: Wer zahlt, schafft an. Entsprechend richtet sich der Blick breiter Bevölkerungskreise immer ›nach oben‹, wo nicht nur die ›Geschicke des Volkes‹ bestimmt werden, sondern auch immer neue Innovationen im Hinblick auf die Darstellung von Status zu entstehen scheinen. Eliten sind zudem exklusive, besonders exponierte Minderheiten – früher von Adel, später bürgerlich-kapitalistisch, seit einiger Zeit aber auch neureich und irgendwie charakterisiert durch Paretos Einkommensverteilung und ihre noch deutlicheren Nachfolgerinnen, gemäß derer 20 Prozent der Bevölkerung über 80 Prozent des Einkommens verfügen und vice versa. Die Schere zwischen arm und reich öffnet sich immer weiter. Bezeichnend für diese Exklusivität in modernen Gesellschaften ist eine scheinbare Aufweichung des Zusammenhangs von Macht und Geld zugunsten einer Differenzierung des Reichtums in unterschiedliche Formen von Kapital, die bei Bourdieu vor allem auf den Machtaspekt zurückführen.

Bemerkenswert ist allerdings, dass mit dieser Exklusivität seit Menschengedenken immer wieder Sündhaftigkeit verbunden ist: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Reich Gottes gelangt (Mk 10.25, Lk 18.25 u.a.). Wenn es außerdem stimmt, dass Geld nicht glücklich macht und bestenfalls die Nerven beruhigt (Rio Reiser), bleibt die Frage offen, warum Reichtum angestrebt wird und sich alle gesellschaftlichen Schichten ›nach oben‹ orientieren. Möglicherweise dient eine solche Auffassung aber auch nur dazu, die bestehende Wohlstandsverteilung zu zementieren. Offenbar sind es nicht die mit Reichtum verbundenen Lasten, welche zu derartigen Aufstiegen motivieren, sondern nicht zuletzt – sieht man von der Bescheidenheitspflicht des innerweltlichen Asketen (Max Weber) ab – die Resultate der Zurschaustellung des Vermögens, auch und besonders im demonstrativen Konsum (Thorstein Veblen). Wenn es nicht die Machtchancen sind, die zumindest in westlichen Demokratien oder Gottesstaaten auch anders zu erlangen sind, scheint doch das Streben nach Prunk und Statussymbolen handlungsleitend zu sein. Zugleich gibt es eine Tradition des Mäzenatentums, ob nun Künstler in den Genuss von Förderungen kommen oder Reiche gar ihr Vermögen bzw. Teile davon in Stiftungen überführen oder als Schenkungen abführen.

Aber die Insignien des Reichseins allein charakterisieren nicht die wohlhabende Person. Gibt es neben den ruhigen Nerven auch noch weitere Attribute großen Wohlstands? Sind Reiche auch spendabel, großzügig und kultiviert oder doch eher geizig, korrupt und egozentrisch? Oder handelt es sich dabei um Klischees, deren Motivierung erst noch aufzudecken wäre? Hinzu kommt die Frage, ob bestimmte Charakterzüge zu Reichtum führen oder ob – und wann – Reichtum erst den Charakter ›verdirbt‹.

Die Reichtumsforschung trifft, wenn sie empirisch vorgeht, auf das Problem der Verschlossenheit ihres Gegenstands. Reichtum ist mit Diskretion, Verborgenheit, Intransparenz oder Geheimhaltung verbunden, so dass Angehörige anderer Schichten leichter zugänglich sind. Wenn aber etwas notorisch abgeschottet bleibt (Stichwort: Gated Communities), muss sich die Forschung über die gesellschaftliche Konstruktion des Reichseins andere Wege suchen. Einer dieser Wege ist die Untersuchung des Alltagswissens in Bezug auf Reichtum, wie er in Kultur und Medien dargestellt wird. So ist es aufschlussreich, die Klischees des Reichtums und seiner Konsequenzen beispielsweise im Spielfilm zu verfolgen.

Fiktionen modellieren mögliche Realitäten, indem sie auf beobachtbare Realitäten referieren. Die Realitätsreferenzen werden mit unterschiedlichen Intentionen zitiert, variiert, mit ›Erfundenem‹ angereichert. Wie die ›schöne‹ Literatur ist auch der Film, verstanden als Spielfilm oder Serie, durch die Konstruktion möglicher Wirklichkeiten am Erleben der bestehenden Wirklichkeiten beteiligt. Er kann Wahrnehmungen und damit auch das Wissen über ›die Verhältnisse‹ schärfen, bestätigen, modifizieren, widerlegen und durch affirmativ bis kritisch wirkende Verfahren in unterschiedlicher Weise prägen. Auch der Dokumentarfilm inszeniert die beobachtbare Realität, selbst wenn er sich darum bemüht, sie möglichst authentisch wiederzugeben – er kann als das ›Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit‹ (Walter Benjamin) gar nicht anders. Die ›Simulationstechnik‹ (Dieter Wellershoff) der zumindest möglichen Fiktionalisierung ist also stets mit zu bedenken.

Folgende Fragen können als Anregung zur Themenfindung dienen:

  • Wie wird Reichtum und wie werden Reiche in Filmen dargestellt?
  • Weshalb wird Reichtum bzw. werden Reiche in der beobachteten Weise dargestellt?
  • Handelt es sich um Muster, gar Stereotype, mit eher affirmativer (etwa unterhaltender, ggf. auch propagandistischer) Absicht oder um originelle Konstruktionsleistungen mit kritischer Funktion – oder um eine Mischung aus beidem?
  • Lassen sich prototypische Figuren, Handlungs- und Interaktionsmuster beobachten?
  • In welchem Verhältnis stehen solche Prototypen und Muster zur Entwicklung von Reichtum in einer Gesellschaft, in welchem Verhältnis stehen also die horizontale und die vertikale Zeitachse?
  • Auf welche tradierten Vorstellungen von Reichtum greifen die Filme zurück – und wie gehen sie damit um?
  • Welche Auswirkungen haben besondere, etwa intermediale Verfahrensweisen von Filmen?

Vorschläge (Exposés im Umfang von max. einer A4-Seite mit aussagekräftigem Titel und Kontaktdaten) für die Tagung, die am 16./17. Februar 2024 an der Universität Koblenz stattfinden soll, werden bis zum 30.06.2023 erbeten an:
Prof. Dr. Oliver Dimbath, dimbath(at)uni-koblenz.de
Prof. Dr. Stefan Neuhaus, neuhaus(at)uni-koblenz.de