Aktuell

SOZIOLOGIE Jahrgang 50 - Heft 1 - 2021

Aus dem Inhalt

  • Birgit Blättel-Mink, Alexander Bogner, Benedikt Fecher, Julika Griem, Lars Rinsdorf, Paula-Irene Villa Braslavsky: Wissenschaftskommunikation in den Gesellschaftswissenschaften    
  • Stefan Kühl: Soziologie der Gruppen
  • Stefan Hirschauer: Ungehaltene Dialoge
  • Die Post-Corona-Gesellschaft? Themenpapier zum Kongress der DGS und der ÖGS 2021 in Wien
  • Anika Steppacher: Von allen Wahrheiten die Beste 
  • Robert Dorschel: ›Data Science‹ 

 

Soziologie in der Öffentlichkeit

Birgit Blättel-Mink, Alexander Bogner, Benedikt Fecher, Julika Griem, Lars Rinsdorf, Paula-Irene Villa Braslavsky
Herausforderungen und Chancen von Wissenschaftskommunikation in den Gesellschaftswissenschaften 

Mit der zunehmenden Ökonomisierung sowie der Vermessung und Digitalisierung von Wissenschaft steht der akademische Sektor vor enormen Herausforderungen. Der Bedarf der Öffentlichkeit an wissenschaftlicher Expertise und die Erwartungen an eine fak­tenbasierte Politik sprechen alle Disziplinen an, dies ist nicht erst seit der Co­rona­virus-Pandemie offensichtlich. Vor diesem Hintergrund sind ›Wissenschaftskommunikation‹ und ›Public Science‹ zu eigenständigen und zunehmend geforderten Elementen akademischer Praxis geworden. Die disziplinären Besonderheiten erfordern jedoch differenzierte Analysen dieser neuen Entwicklung. Der Workshop zu Herausfor­derungen und Chancen von Wissenschaftskommunikation in den Gesell­schafts­wis­sen­schaften hat sich in diesem Lichte auf die Erkenntnisse aus der (so­zio­logischen) Wissenschaftsforschung konzentriert. Der vorliegende Text do­ku­men­­tiert die Abschluss­diskussion.

With the increasing economization as well as the ›governance by numbers‹ and digi­talization of science, the academic sector faces tremendous challenges. The public›s need for scientific knowledge and expectations of fact-based policies affect all discip­li­nes; this has been obvious not only since the coronavirus pandemic. In this light, ›scien­ce communication‹ and notions of ›public science‹ have become inde­pen­dent and increasingly demanded elements of research and teaching. However, the disci­pli­nary characteristics require differentiated analyses of this new deve­lop­ment. The work­shop on challenges and opportunities of science communication in the social scien­ces focused on the findings of (sociological) science research. This ar­ticle docu­ments the closing discussion.
 

Identität und Interdisziplinarität

Stefan Kühl
Soziologie der Gruppen 

Nach einer Hochphase nach dem Zweiten Weltkrieg hat die soziologische For­schung über Gruppen erheblich an Bedeutung verloren. Ein Ausdruck dieses Be­deu­tungsverlustes ist, dass es in der deutschsprachigen Soziologie inzwischen keinen Ort gibt, in denen Überlegungen zur Soziologie der Gruppe diskutiert wer­den. Der Nie­dergang des Konzeptes ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass lange Zeit in der Soziologie, Psychologie und Ethnologie mit einem weiten und dif­fusen Begriff der Gruppe gearbeitet wurde. Ziel des hier vorgestellten Vor­habens ist zu dis­ku­tie­ren, ob ein enger, über personenbezogene Kommunikation be­stimmter Begriff die so­ziologische Diskussion über Gruppen wiederbeleben kann. Die theoretischen und em­pirischen Potentiale und Begrenzungen einer So­zio­logie der Gruppe werden ge­prüft.

After a peak period after the Second World War, sociological research on groups has lost a lot of its importance. One expression of this loss is that there is no place in German-speaking sociology where thoughts on the sociology of the group are discussed. The decline of the concept of group is largely due to the fact that for a long time, sociologists, psychologists and ethnologists have worked with a broad and diffuse concept of the group. The aim of the project presented here is to discuss whether a narrow definition of group can revive the sociological discussion. The theo­retical and empirical potentials and limitations are examined.

Stefan Hirschauer
Ungehaltene Dialoge 

Dieser Beitrag versucht, den professionspolitischen Konflikt um die Gründung der so­genannten ›Akademie für Soziologie‹ aus einer wissenschafts- und konflikt­so­zio­lo­gischen Per­spektive zu verstehen und mögliche Wege der Konfliktlösung zu skiz­zieren. Er stellt vier Fragen: Welche Art von Einheit kann es für die allgemeine Wis­sen­schaft des Sozialen geben? Welche diskursiven Bedingungen braucht intra­dis­zipli­näre In­te­gration? Welche fachlichen Strukturen lassen sich für Sachkonflikte nut­zen? Wel­che organisatorischen Konsequenzen folgen daraus? Die These des Bei­trags ist, dass die Lagerung der Soziologie als allgemeine Wissenschaft vom Sozialen zwi­schen einer großen Zahl von Nachbarfächern, die erhebliche Fliehkräfte aus­üben, nur eine kon­fliktfreudige Einheit des Faches erlaubt.

This paper aims to comprehend the profession-political dispute around the founding of the so-called ›Academy for Sociology‹, viewing it through the lens of the sociology of science and conflict sociology, outlining on this basis possible pathways to conflict resolution. The paper addresses four issues: What kind of unity is possible for the general science of the social? What discursive preconditions are required for intra­dis­ciplinary integration? What professional structures can be utilised for disputes regarding the subject matter at the heart of the discipline? What are the orga­ni­sa­tio­nal consequences that would follow? The paper postulates that conserving sociology as the general science of the social – positioned as it is between multiple neigh­bou­ring disciplines subjecting it to considerable centrifugal force – only allows for dis­ci­plinary unity that is open to conflict.

Hier der Volltext zum Download.
 

Markus Holzinger
Im Westen noch immer nichts Neues    

In einem kürzlich in der SOZIOLOGIE (Heft 4, 2020) veröffentlichten Text nimmt Marius Meinhof Bezug auf einen von mir zur Diskussion gestellten Aufsatz. Dieser war aus Anlass der E-Mail Debatte zwischen Manuela Boatcă, Sina Farzin und Julian Go als Replik publiziert worden, in der es um die Relevanz einiger neuerer Thesen zum Thema ›postkolonialer Turn‹ in der Soziologie ging. Meinhof kritisiert, ich würde ›den Unterschied zwischen Kolonialismusforschung und den Anliegen des Post­kolonialismus‹ vernachlässigen. Man müsse zwischen einer ›Soziologie des Ko­lo­­nialismus‹ und der ›postkolonialen Soziologie‹ unterscheiden. In diesem Beitrag soll Meinhofs Kritik entkräftet werden. Darüber hinaus wird die Plausibilität seiner Unter­scheidung und seine dabei zu Grunde gelegten Unterscheidungs­kri­te­rien geprüft.

In a text recently published in SOZIOLOGIE (no. 4, 2020) Marius Meinhof refers to an essay I have submitted for discussion. This was published as a replica on the occasion of the e-mail debate between Manuela Boatcă, Sina Farzin, and Julian Go, which dealt with the relevance of some recent theses on the topic of ›postcolonial turn‹ in sociology. Meinhof critizises me neglecting ›the difference between colo­nia­lism research and the concerns of postcolonialism‹. One has to distinguish be­tween a ›sociology of colonialism‹ and ›postcolonial sociology‹. This article is in­tended to refute Meinhof´s criticism. In addition, the plausibility of his distinction and the differentiation criteria on which it is based will be examined.
 

DGS-Nachrichten

  • Die Post-Corona-Gesellschaft?
    • Themenpapier zum gemeinsamen Kongress der DGS und ÖGS 2021 in Wien 
    • Wichtige Termine im Überblick 
  • Laudatio zur Vergabe des Thomas A. Herz-Preises für qualitative Sozialforschung auf dem 40. Kongress der DGS 
  • Preise der DGS für herausragende Abschlussarbeiten
    • Anika Steppacher: Von allen Wahrheiten die Beste 
      Esoterische Religiosität kann als besondere Form Unsichtbarer Religion auf dem gegen­wärtigen religiösen Feld verstanden werden. Sie zeichnet sich aus durch eklektische und komplexe Deutungsmodelle sowie eine vermeintliche Eindeutigkeit in der Aus­ein­andersetzung mit empirisch nicht zugänglichen Fragen. Doch wie kann ohne Re­li­gionsgemeinschaft oder einheitlichen Lehrkorpus eine Weltansicht ausgehandelt wer­den, die als stabil und kohärent erlebt wird? Wie wird die Bewältigung von Kon­tin­genzerfahrungen ermöglicht? In wissenssoziologischer Perspektive geht der Bei­trag diesen Fragen in einer hermeneutisch-rekonstruktiven Analyse von sechs Glau­bens­entwicklungsinterviews nach. Sampling und Auswertung orientieren sich an der Grounded Theory-Methodologie, die es erlaubt ein fallübergreifendes Muster zu re­kon­struieren: Ausgehend von einem Unbehagen in der modernen Gesellschaft wird eine dem­gegenüber stehende kosmische Ordnung imaginiert. Vermittelt über ein sakralisiertes Selbst sehen sich die Interviewten in der Lage auf jene unmittelbar über die An­eig­nung spiritueller Werkzeuge zuzugreifen und damit eine geradezu magische Hand­lungs­macht zu erlangen. Esoterische Weltansichten können letztendlich als Wissensglaube cha­rakterisiert werden, der ein in sich kohärentes Deutungsmodell mit einem als all­umfassend imaginierten Zugang zur Wahrheit bietet.
      Esoteric religiosity can be interpreted as a special form of Invisible Religion within the contemporary religious field. It is characterized by eclectic and complex inter­pre­ta­tion models as well as an unambiguousness in the way it deals with questions that are not empirically accessible. However, how is it possible to negotiate a worldview that can be experienced as stable and coherent without a religious community or a uni­form body of teachings? How is it possible to cope with contingency experiences? From a sociological perspective of knowledge, the contribution pursues these questions in a hermeneutic-reconstructive analysis of six faith development inter­views. Sampling and analysis are based on the Grounded Theory methodology which allows the reconstruction of patterns beyond the single cases: A Discomfort in Modern Society causes the imagination of a contrasting Cosmic Order. Mediated by a Sacralized Self the interviewees think of themselves as capable of directly accessing this transcendent order by acquiring Spiritual Tools which grant them an almost Magical Agency. An esoteric worldview can therefore be characterized as Wissensglaube (Knowledge Belief) that offers a coherent interpretation model with the imagination of an all-encompassing access to the truth.
       
    • Robert Dorschel.›Data Science‹ 
      Der Beitrag analysiert die Professionalisierung von ›Data Scientists‹ aus wissens­so­zio­logischer Perspektive. Data Scientists werden zunehmend von diversen Akteuren herangezogen, um große Datenmengen auszuwerten. Im Anschluss an die Wissens­so­ziologie werden berufliche und professionale Zuständigkeiten für bestimmte Pro­blem­felder jedoch nicht als natürlich Gegebenes verstanden, sondern als Ergebnis von Auseinandersetzungen um die Durchsetzung und Objektivierung sozialer Denk- und Deutungsweisen. Aufbauend auf einer Zusammenführung der Fou­cault­schen Diskurstheorie und der Bourdieuschen Feldtheorie soll die eigendynamische dis­kursive Konstruktion von Data Scientists in verschiedenen gesellschaftlichen Are­nen analysiert werden. Mittels der diskursanalytischen Auswertung von Stel­len­anzeigen, Studiengangsbeschreibungen und medialen Artikel wird gezeigt, dass das Dis­kursfeld Data Science ihre professionale Autonomie über eine doppelsinnige aka­demische Institutionalisierung, eine distinktive synergistische Fachexpertise und ein solutionistisch-identitätspolitisches Arbeitsethos herstellt.
      The article analyses the professionalisation of ›data scientists‹ from a sociology of knowledge perspective. Data scientists are increasingly used by various actors to evaluate large amounts of data. In recurrence to the sociology of knowledge, occupational and professional responsibilities must, however, not be understood as naturally given, but rather as the result of conflicts over the objectification of in­terpretation patterns. Based on a combination of Foucault‹s discourse theo­ry and Bourdieu’s field theory, the article analyses the self-dynamic discursive con­struction of data scientists in different societal arenas. Employing a discourse ana­lysis of job ads, study programs and media texts, it is shown that the discursive field of data science establishes its professional autonomy through an equivocal aca­de­mic institutionalization, a distinctive synergistic expertise and an ethic that com­bi­nes solutionism with identity politics.
       
  • Veränderungen in der Mitgliedschaft
     

Nachrichten aus der Soziologie

  • ASI-Nachwuchspreis 2021
  • Habilitationen
  • Call for Papers
    • Theoretische Perspektiven und Bestimmung unterschiedlicher Typen von Kleingruppen
    • Technological Change, Digitalization and Life Course Inequalities
    • Deutscher Studienpreis für Dissertationen
  • Tagungen 
    • Territorien, Staat und Nation in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte
    • Zeit. Zur Temporalität von Kultur
    • Vielfältige Familien