Aktuell

SOZIOLOGIE Jahrgang 54 - Heft 2 - 2025

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Soziologie in der Öffentlichkeit

Richard Münch, Heiko Kleve
Polarisierte Gesellschaft?

In der öffentlichen Debatte wird vielfach von der ›polarisierten‹ beziehungsweise ›gespaltenen‹ Gesellschaft gesprochen, um die gesellschaftliche Situation der Gegenwart zu beschreiben. Nils Kumkar und Uwe Schimank haben die hierzu vorhandenen soziologischen Zeitdiagnosen einer Prüfung hinsichtlich der Frage unterzogen, welche Rolle sie im Konflikt zwischen den einander gegenüberstehenden Parteien einnehmen. Sie können als Verbündete, Schlichter oder Abklärer auftreten. Im Gespräch von Heiko Kleve mit Richard Münch werden diese drei Rollen aufgegriffen, und es wird argumentiert, dass sie die Herangehensweise an einen Untersuchungsgegenstand im Entdeckungszusammenhang beschreiben, der Wahrheitsgehalt der getroffenen Aussagen – wie auch Kumkar und Schimank betonen – im soziologischen Diskurs im Begründungszusammenhang zu prüfen ist und über deren Nutzung für die Interessen der einen oder anderen Seite im Konflikt im Verwendungszusammenhang entschieden wird. Auf dieser Basis werden theoretisch an-geleitete und empirisch fundierte abklärende Zeitdiagnosen einer kritischen Prüfung unterzogen, um dann die wesentlichen Fragen der Diagnose einer polarisierten Gesellschaft in der Rolle eines auf soziologische Aufklärung zielenden Schlichters zu diskutieren.

In public debate, people often talk about a ›polarized‹ or ›divided‹ society to describe the current social situation. Nils Kumkar and Uwe Schimank have examined the existing sociological diagnoses of the times in order to determine what role they play in the conflict between the opposing parties. They can act as allies, mediators or clarifiers. In Heiko Kleve’s conversation with Richard Münch, these three roles are taken up and it is argued that they describe the approach to an object of investigation in the context of discovery, that the truth content of the statements made – as Kumkar and Schimank also emphasize – is to be examined in the sociological discourse in the context of justification, and that their use for the interests of one side or the other in the conflict is decided in the context of application. On this basis, theoretically guided and empirically founded clarifying diagnoses of the times are subjected to critical examination in order to then discuss the essential questions of the diagnosis of a polarized society in the role of a mediator aiming at sociological enlightenment.
Hier der Text zum Download.

Identität und Interdisziplinarität

Jens Beckert
Einige Bemerkungen zur Entwicklung der Wirtschaftssoziologie

Mark Granovetters für die Wirtschaftssoziologie wegweisender Artikel Economic Action and Social Structure erschien vor genau vierzig Jahren. In dem Beitrag skizziere ich die Entwicklung der neuen Wirtschaftssoziologie seit dieser Zeit, deren gegenwärtigen Stand und eine mögliche Perspektive für die Weiterentwicklung des Feldes.

Mark Granovetter’s groundbreaking article Economic Action and Social Structure was published exactly forty years ago. In this paper, I outline the development of the new economic sociology since then, its current state, and a possible perspective for the further advancement of the field.


Klaus Holz, Karin Stögner, Jan Weyand
Symposion: Antisemitismus und / in der Soziologie, Teil 1

Ab Sommer 2024 erschienen im SozBlog soziologische Beiträge zum Antisemitis-mus. Darauf aufbauend stellt nun ein längeres Symposion mehrere Texte zum Thema zur Diskussion. Das Anliegen besteht ausdrücklich nicht darin, Einlassungen zum so genannten Nahostkonflikt zu versammeln, sondern darin, zur fachlichen (Selbst-) Kritik beizutragen. Es geht um Einsichten zu allen Bereichen der Soziologie als Wissenschaft sowie als organisierte und institutionalisierte Form akademischer Praxis einschließlich Lehre, Gutachten, Forschungsförderung und so weiter, in der Hoffnung, dass die Texte in diesem und im nächsten Heft der SOZIOLOGIE zur soziologischen (!) Aufklärung beitragen werden.

Starting from summer 2024, sociological articles on anti-Semitism appeared in the SozBlog. Building on this, a longer symposium is now presenting several texts on the topic for discussion. The aim is explicitly not to summarise statements on the so-called Middle East conflict, but to contribute to professional (self-)criticism. The aim is to provide insights into all areas of sociology as a science and as an organised and institutionalised form of academic practice, including teaching, expert opinions, research funding and so on, in the hope that the texts in this and the next issue of SOZIOLOGIE will contribute to sociological (!) enlightenment.


Markus Holzinger
Soziologie als Verschwörungstheorie?

In einem kürzlich erschienen Aufsatz in dieser Zeitschrift (Heft 3, 2024) diskutiert Georg Vobruba das Verhältnis von Soziologie und Verschwörungsdenken, um der Frage nach Ähnlichkeiten zwischen den beiden Narrativen nachzugehen. Vobruba kommt letztendlich zu dem Schluss, dass es zwischen diesen beiden Wissenstypen eine klare Unterscheidung gibt: Die Soziologie bietet relationale Erklärungen an, die auf empirischen Fakten basieren. Im Verschwörungsdenken hingegen wird alles auf die geheimen Machenschaften eines mächtigen Handlungszentrums zurückgeführt. Die Replik stellt Vobrubas These in Frage und kommt zu gegenteiligen Schlüssen. Unter Bezugnahme auf Argumente von Luc Boltanski und Karl R. Popper soll dargelegt werden, dass es auch in der modernen Soziologie Argumentationstypen gibt, die analog zu Verschwörungstheorien funktionieren. Die Soziologie reproduziert sogar, wie Popper meinte, Argumentationen, bei denen es sich um die ›Säkularisierung eines religiösen Aberglaubens‹ handle. Dieser Zusammenhang soll anhand einiger Beispiele expliziert werden. Ich komme schließlich zu dem Schluss, dass sich im ›postfaktischen Zeitalter‹ auch die Soziologie dem Risiko aussetzt, Fake news, Fiktionen und Verschwörungsszenarien in die Welt zu setzen, anstatt sie zu ent-tarnen.

In a text recently published in SOZIOLOGIE (no. 3, 2024) Georg Vobruba pursues the question of similarities between conspiracy thinking and sociology. Vobruba ultimately comes to the conclusion, that there is a clear distinction between these two types of knowledge. Sociology offers relational explanations based on empirical evidence, whereas in the conspiratorial worldview, everything is attributed to the intentions of a powerful center of action. Against Vobruba it is argued that his interpretation is misguided. My argumentation points in the opposite direction. Based on arguments of Luc Boltanski and Karl R. Popper, the present paper postulates that there are indeed similarities between conspiracy theories and sociological theories. Popper even believed, some sociological arguments are the secularized version of a religious belief (›the secularization of religious superstition‹). To make this more concrete some examples are included in the paper. I finally come to the conclusion, that in the ›post-truth era‹, sociology also runs the risk of spreading fake news and conspiracy narratives.

DGS-Nachrichten

  • Protokoll der Auszählung der Wahlen zu Vorsitz, Vorstand und Hälfte des Konzils 2025 der Deutschen Gesellschaft für Soziologie e.V. (DGS)
  • Stellungnahme Ausschuss Soziologie in Schule und Lehre 
  • Aus dem DGS-Vorstand 
  • Veränderungen in der Mitgliedschaft

Berichte aus den Sektionen

  • Sektion Familiensoziologie
  • Sektion Methoden der qualitativen Sozialforschung 
  • Sektion Wissenssoziologie 

Nachrichten aus der Soziologie

  • Stephan Lessenich: Am Puls der Zeiten. Claus Offe zum 85. Geburtstag
  • Annette Schnabel: Richard Münch zum 80. Geburtstag
  • Harald Künemund, Klaus R. Schroeter, Claudia Vogel: In memoriam Hans-Joachim von Kondratowitz
  • Habilitationen
  • Tagungen
    • Sovereignty and Solidarity in the Digital Age  
    • 28. ÖGS-Kongress: Das Klima der Gesellschaft  
    • Transformationssoziologie konkret