Aktuell

SOZIOLOGIE Jahrgang 55 - Heft 1 - 2026

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Identität und Interdisziplinarität

 

Monika Wohlrab-Sahr
Transitionen und Transition

Das Thema des 42. DGS-Kongresses ist bewusst im Plural formuliert. Gleichzeitig verweist vieles auf eine umfassendere Transition, eine Transition im Singular. Darin verdichtet sich Verschiedenes zur Wahrnehmung eines umfassenden Umbruchs, in dem die alten Eckpfeiler von Stabilität und Orientierung kollabieren.­
     The theme of the 42nd DGS-congress is deliberately formulated in the plural. At the same time, much points to a more comprehensive transition, a transition in the sin­gu­lar. Various aspects converge in this, contributing to the perception of a swee­ping upheaval in which the old cornerstones of stability and orientation collapse.
    Hier der Text zum Download.

Tilman Reitz
Gefährdete Wahrheiten

Der Beitrag fragt aus soziologischer Perspektive nach den äußeren und inneren Ge­fähr­dungen, denen (Sozial-)Wissenschaft gegenwärtig in Deutsch­land ausgesetzt ist. Als innere Probleme werden die anhaltend schwierige Situation von Wis­sen­schaft­ler*in­nen diesseits der Professur und die teilweise schädlichen Wett­bewerbe um Pro­jekt­mittel und Publikationsmetriken diskutiert, als externe Ge­fahren die drohenden finanziellen Einschnitte angesichts stagnierender oder sin­ken­der Studieren­den­zah­len und der Erfolg autoritärer politischer Kräfte, die Wis­sen­schaft als Elitendiskurs an­greifen. Zum Ende werden Gegenmaßnahmen in der Stel­len­politik und im po­li­tischen Selbstverständnis der Soziologie vorgeschlagen.
     The contribution discusses external and internal threats to the (social) sciences in Germany from a sociological perspective. Internally, the con­ti­nuing difficulties of early career researchers as well as the partly destructive com­pe­ti­tion for project fun­ding and citations metrics are analysed as main problems for se­rious research. Ex­ter­nally, the financial cuts reacting to stagnating or declining stu­dent numbers are jux­taposed with an autoritarian anti-elitism directed against science as such. The con­tri­bution closes with proposals for a more sustainable employment stra­tegy and a re­newed political self-understanding of sociology.

Joachim Renn
Autorität und Distanz

Eine soziologische Selbst-Beobachtung, die soziologische Aufklärung zu einer kon­text­gebundenen Praktik unter anderen erklärt, untergräbt die epistemische Autorität, der sie ironischerweise ihr Mandat verdankt. Denn entscheidend für die Autorität einer Wissenschaft ist die Unterbrechung der epistemischen Interdependenz einer spe­zialisierten Kommunikationsweise von anderen gesellschaftlichen Relevanzen und Vo­ka­bularen. Diese Unterbrechung verschafft der Wahrheitsorientierung em­pi­risch eine in­stitutionelle Heimstätte, die eine gegenüber praktischen Zwecken rück­sichtslose, re­gu­lative Idee darstellt. Die Soziologie unterminiert jedoch gegen­wärtig in weiten Tei­len die für sie konstitutive Differenzierung und befördert die an­derweitig betriebene Schwä­chung ihrer epistemischen Autorität, wo sie auf die Kri­sis einer Disziplin, die nicht Natur erforscht, sondern ausdifferenzierter Teil ge­sell­schaftlicher Selbst­ver­stän­di­gung ist, mit geltungsindifferenter Dekompensation re­agiert.
     A sociological self-observation that declares sociological enlightenment to be one con­text-bound practice among others undermines the epistemic authority to which it ironically owes its mandate. For what is decisive for the authority of a science is the interruption of the epistemic interdependence of a specialized mode of com­mu­ni­cation from other social relevancies and vocabularies. This interruption empirically pro­vides the orientation toward truth with an institutional home, which represents a regulative idea that is ruthless in its pursuit of practical purposes. How­ever, so­cio­logy is currently undermining much of the differentiation that is con­sti­tu­tive for it and promoting the weakening of its epistemic authority elsewhere, where it responds to the crisis of a discipline that does not explore nature but is a dif­fe­ren­tia­ted part of social self-understanding with decompensation that is indifferent to va­lidity.

Forschen, Lehren, Lernen
 

Rainer Paris
Kampf um Liegestühle

Der Beitrag diskutiert das bekannte Liegestuhl-Beispiel in Heinrich Popitz’ ›Pro­zes­se der Machtbildung‹ unter Aspekten der Lehre und weiterer Fragestellungen. Im Vor­dergrund steht dabei die empirische Ambiguität der Situation hinsichtlich ver­deck­ter Konflikte von Normen und fließender Übergänge der Abweichung. Es zeigt sich, dass das Beispiel unbeschadet der von Popitz herausgearbeiteten Gesetz­mä­ßig­keiten von Privilegierung und Legitimierung auch für weitere soziologische An­schluss­fragen und Analyseperspektiven geeignet ist, die vor allem in Lehr­ver­an­stal­tungen fruchtbar eingesetzt werden können.
     The article discusses the well-known deckchair example in Heinrich Popitz’ ›Pro­zesse der Machtbildung‹ from the perspective of doctrine and other issues. The fo­cus is on the empirical ambiguity of the situation with regard to hidden conflicts of norms and fluid transitions of deviation. It is shown that the example is also suitable for further sociological follow-up questions and analytical perspectives, which can be used fruitfully in courses in particular, irrespective of the laws of privilege and le­gitimisation worked out by Popitz.

Wolfang Glatzer
Ein Jahrhundert Untersuchungen zur ›Lebensqualität‹

Lebensqualität ist ein vielseitiger Begriff, der welt­weit im Feld wissenschaftlicher und ge­sellschaftlicher Aktivitäten zur Bezeichnung der individuellen und gesell­schaft­li­chen Lebensverhältnisse ver­wen­det wird. Die Idee entstand vor etwa hundert Jah­ren, und Konzepte zu ihrer Mes­sung lagen bereits damals auf dem Tisch. Es dauer­te viele Jahre, bis die For­schung zur Lebensqualität im Kontext der Sozial­indi­ka­to­renbewegung und der ge­sell­schaftlichen Zieldiskussion weiterentwickelt wurde. Mitte der 1990er Jahre war die Zeit offen­sichtlich reif, um dauerhaft Orga­nisationen für Studien und Forschung zur Lebens­qualität zu etablieren: ISOQOL und ISQOLS wur­den gegründet und ent­wickel­ten sich zu Zentren für die Steuerung der Lebens­qualitäts­forschung. In der Fol­gezeit fand die Idee Eingang in alle Lebensbereiche, so in Wissenschaft, Politik, Wirt­schaft, Klimawandel, Werbung und gesellschaftliche De­batten aller Art. Derzeit ist Lebensqualität ein kritisches, vielseitiges und nicht-mili­tantes Konzept zur De­fi­ni­tion und Bewertung des sozialen Fortschritts im Hin­blick auf die Entwicklung der Menschheit und ihrer Individuen.
     Quality of life is a multifaceted term used worldwide in scientific and social activities to describe individual and social living conditions. The idea originated about a hun­dred years ago, and concepts for measuring it were already on the table at that time. It took many years for research on quality of life to develop further in the context of the social indicators movement and the discussion of societal goals. In the mid-1990s, the time was clearly ripe to establish permanent organisations for stu­dies and research on quality of life: ISOQOL and ISQOLS were founded and de­veloped into centres for the management of quality of life research. In the fol­lo­wing years, the idea found its way into all areas of life, including science, politics, economics, climate change, advertising and social debates of all kinds. Today, quality of life is a critical, mul­tifaceted and non-militant concept for defining and evaluating social progress in terms of the development of humanity and its individuals.

DGS-Nachrichten

  • Zukünfte der Gesellschaft. 43. DGS-Kongress 2026 in Mainz
    • Call zu den Plenarveranstaltungen
    • Informationen zur Ausrichtung einer Ad-hoc-Gruppe
    • Ausschreibung der zu verleihenden Preise
    • Termine
  • Aus der Vorstandsarbeit
  • Preise der DGS für herausragende Abschlussarbeiten
    • Elena Erstling
      Nicht-Binarität als Kategorie ›in the making‹

Im Mittelpunkt der diesem Artikel zugrunde liegenden Masterarbeit steht Nicht-Binarität als geschlechtliche Personenkategorie. Dazu verbinde ich kategorisierungs­theo­retische Ansätze mit Gesa Lindemanns leibphänomenologischer Konzeption von Geschlecht und Transsexualität. Anhand von Interviews mit und Tagebüchern von Personen, die sich im Prozess eines Geschlechtswandels befinden, rekonstruiere ich, dass es sich um einen historisch jungen Möglich­keits­raum geschlechtlichen Erlebens handelt.
     The article draws on my master‹s thesis and focuses on non-binary, understood here as a ›category of persons‹. The theoretical framework consists of Gesa Lindemann’s embodied phenomenology and insights from categorization theory. Based on the analysis of narrative interviews and diaries written by in­di­vi­duals who are in the process of transitioning I argue that non-binary is a historically re­cent sphere of possible gendered experience.

  • Veränderungen in der Mitgliedschaft
     

Berichte aus den Sektionen

  • Sektion Religionssoziologie             
  • Sektion Soziale Probleme – Soziale Kontrolle und
    Sektion Migration und ethnische Minderheiten
     

Nachrichten aus der Soziologie

  • Mona Motakef, Ann-Kathrin Schierok, Finja Tschampel, Birgit Zeyer-Gliozzo, Christian Deindl
    Wo wir stehen. Die Gründungsfeier des Instituts für Soziologie an der TU Dortmund        
  • Stefan Böckler, Rainer Greshoff, Klaus Lichtblau, Janosch Schobin, Thomas Schwietring / Hartmut Esser
    In memoriam Johannes Weiß
  • John Keane
    In memoriam Claus Offe    
  • Gabriele Klein, Annette Treibel
    In memoriam Hermann-Anders Korte          
  • Habilitationen
  • Tagungen
    • Grenzsoziologie revisited 
    • Integrity, Solidarity, and Unity: Hopes and Realities of the European Future