Was bedeutet es, Gewalt soziologisch oder in engem Kontakt zu soziologischer Forschung zu untersuchen? Wie gehen die Beteiligten vor? Welche Debatten führen sie? Und auf welche Probleme stoßen sie dabei? – Für ein Handbuch zur soziologischen Gewaltforschung, das wir momentan vorbereiten, möchten wir alle Interessierten herzlich einladen, Vorschläge für mögliche Beiträge einzureichen.
Das Handbuch soll sich ebenso an erfahrene Forscher:innen richten wie an fortgeschrittene Student:innen und Personen, die sich aufgrund ihrer Berufspraxis in zugänglicher Weise die soziologische Untersuchung von Gewalt erschließen möchten. Der leitende Gedanke unserer Handbuch-Konzeption ist, dass jeder Beitrag problemorientiert angelegt ist. Das heißt, dass ein konkretes Problem, dem Forscher:innen bei der soziologischen und soziologienahen Untersuchung gewaltsamer Phänomene begegnen können, jeweils den Ausgangs- und Bezugspunkt eines Beitrags bilden soll.›Problem‹ist in diesem Zusammenhang nicht als definitorisch vereindeutigtes, sondern als›sensibilisierendes Konzept‹(Herbert Blumer) gedacht. Es soll das primäre Augenmerk auf herausfordernde Situationen oder Daueraufgaben im gewaltbezogenen Forschungsprozess lenken, die z.B. eher zeitlicher, eher sachlicher und eher sozialer Art sein können, eher konzeptuell oder eher praktisch sind, sich eher methodisch oder eher theoretisch stellen – oder eher pragmatischer (Wie tun?), eher syntaktischer (In welcher Form?) oder eher semantischer Natur sind (Was sind angemessene Ausdrucks- und Darstellungsweisen?). Es handelt sich zuspitzend formuliert um Situationen oder Daueraufgaben, die gleichsam eine vertiefte intellektuelle Auseinandersetzung und ein mitunter trickreich eingesetztes Forschungshandwerk erfordern. Dabei kann es sich um Probleme handeln, die allgemeiner Natur sind und zu denen die soziologische oder soziologienahe Befassung mit Gewalt einen spezifischen Beitrag geleistet hat bzw. leistet, wie bspw. beim Problem der Kausalität. Ebenso kann es sich um Probleme handeln, die sich daraus ergeben, wie die soziologische Forschung sich mit Gewalt befasst. Zu denken ist z.B. an die Exotisierung gewaltsamer Phänomene, an der die Forschung selbst ihre Anteile hat.
Im Grunde ist unsere – nicht allzu spektakuläre – Überlegung, dass der Weg soziologischen und soziologienahen Forschens zu Gewalt mit allerlei Problemen gepflastert ist. Wir haben uns vor allem aus zwei Beweggründen für dieses Konstruktionsprinzip des geplanten Handbuchs entschieden: Der erste besteht darin, dadurch die vielfältigen, umstrittenen und oftmals auch untereinander kaum bekannten Arbeitsweisen zugänglich zu machen, die diese sich recht dynamisch entwickelnde Forschungsrichtung charakterisieren – ohne damit den Eindruck zu erwecken, es handele sich bereits um ein in irgendeiner Weise konsolidiertes oder gar kanonisiertes Wissensgebiet. Es wäre ein Missverständnis, hinter Formulierungen wie›soziologische Gewaltforschung‹oder›Gewaltsoziologie‹ein fest umrissenes Forschungsfeld, eine deutlich abgegrenzte Subdisziplin oder gar eine scharf konturierte spezielle Soziologie zu vermuten. Der zweite Beweggrund ist, auf diese Weise nicht nur den expliziten Wissensbeständen soziologischen und soziologienahen Forschens Rechnung zu tragen, sondern auch solchen Aspekten, die mutmaßlich viele Beteiligte beschäftigen, aber bislang eher implizit geblieben sind oder nur in kleinen, untereinander unvernetzten Kreisen Thema sind. Denn nach unserem Eindruck finden sich einerseits Probleme, die stetige oder wiederkehrende Aufmerksamkeit finden, insbesondere dann, wenn sie den Fluchtpunkt von offen ausgetragenen Debatten bilden. Die Frage des gegenstandsangemessenen Gewaltverständnisses, die sich u.a. daran festmacht, dass manche für einen engen, andere dagegen für einen weiten und wiederum andere für einen reflexiven Gewaltbegriff werben, ist ein naheliegendes Beispiel. Demgegenüber gibt es forscherische Probleme, die kaum je thematisch sind, zumindest nicht fachöffentlich. Das Problem der Normalisierung bestimmter Gewaltformen durch die Forschung selbst zählt z.B. unserer Ansicht nach dazu. Wir denken hier u.a. an übergriffige Situationen in der stationären Pflege, die seitens der Forscher:innen vorausgesetzt werden und stillschweigende Akzeptanz finden. Das Ziel des Handbuchs ist, gerade auch diesen impliziten oder bislang randständig gebliebenen Problemen angemessene Beachtung zu schenken und damit weiterführenden fachlichen Gesprächen den Boden zu bereiten.
Alle, die Interesse daran haben, am geplanten Handbuch mitzuwirken, bitten wir um aussagekräftige Abstracts, die jeweils ein konkretes Problem der soziologischen und soziologienahen Forschung zu Gewalt zum Gegenstand haben. Geben Sie dem Abstract bitte einen sprechenden und prägnanten Titel und fügen Sie ihm auch kurze Angaben zu Ihrer Person an.
Das Abstract sollte einen Umfang von ein bis zwei Normseiten haben, das entspricht ca. 1.500 – 3.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen und Verzeichnisse). Bitte senden Sie es bis zum 14. November 2025 per E-Mail an gewalthandbuch(at)medien.uni-weimar.de.
Wir streben an, alle Einreichungen im Dezember 2025 zu sichten und allen Beteiligten bis Mitte Januar 2026 zu antworten.
Alle, die wir nach der Sichtung dazu einladen, mit einem Volltext zum Handbuch beizutragen, sind dann gebeten, ihre Manuskripte bis zum 15. September 2026 einzureichen. Die finalen Texte sollen einen Umfang von 45.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen und Verzeichnisse) nicht überschreiten und dramaturgisch einer einheitlichen Gliederung folgen. Sie besteht aus einem Fünfschritt: (1) Erläuterung des Problems in seinen Grundzügen, (2) einschlägige Arbeiten, Debatten und Positionen, die sich mit dem Problem befassen, (3) eigene Position mit Blick auf das erläuterte Problem, (4) offene Fragen und weiterführende Forschungsperspektiven, (5) gebündelte Literaturempfehlungen und Vorschläge weiterer Ressourcen zur vertiefenden Beschäftigung mit dem erörterten Problem.
Die Erarbeitung des Handbuchs ist gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).