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Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) zur anstehenden Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes

Essen, den 04. April 2023

Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) begrüßt das Ziel, mittels der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) die ›Verlässlichkeit, Planbarkeit und Transparenz‹ der Beschäftigungschancen für Wissenschaftler:innen in der ›Qualifikations­phase‹ zu erhöhen (https://www.bmbf.de/­SharedDocs/­Downloads/­de/­2023/­230317­-wisszeitvg.html). Die Soziologie hat zu den Themen Beschäftigungsverhältnisse und Karrierewege in der Wissenschaft umfangreiche, evidenzbasierte Expertise. Dazu gehört auch die jüngste Evaluation des WissZeitVG vom Mai 2022. Vor diesem Hintergrund nehmen wir Stellung:

Wie viele andere Akteur:innen aus der Wissenschaft – Fachverbände, Gewerkschaften, Initiativen des Mittelbaus um #ichbinhanna und das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAW), eine Vielzahl von Professor:innen aller Disziplinen (https://tubcloud.tu-­berlin.de/­s/eJDLgfcCC26FdGq) – hält auch die DGS das am 17.03.2023 vorgelegte Eckpunktepapier des BMBF für nicht geeignet, eine dringend notwendige Verbesserung der Situation der wissenschaftlich Beschäftigten zu erzielen. Insbesondere die geplante Verkürzung von Befristungen in den ›Qualifikationsphasen‹ (Promotion und Postdoc-Phase) von heute sechs auf zukünftig drei plus zwei Jahre ist kontraproduktiv für die Qualität des Wissenschaftssystems in Deutschland und katastrophal für die Beschäftigten.

In zahlreichen Diskussionsrunden mit dem BMBF und in mehreren Stellungnahmen (https://soziologie.de/­aktuell/news/­erklaerung-von-wissenschaftsverbaenden) hat die DGS – in Zusammenarbeit mit anderen Fachverbänden – Folgendes immer betont: Die gesetzliche Vorgabe einer Höchstbefristungszeit für Stellen in Lehre und Forschung ist für das Wissenschaftssystem dysfunktional. Denn: Innovative und gründliche Forschung braucht in allen Disziplinen Zeit, Verlässlichkeit, Fehlerkultur. Das bedeutet aber: Fluktuation, Prekarität, Ungewissheit und Abhängigkeit in bislang extrem hierarchischen Arbeitsformen schaden der Qualität von Forschung und Lehre. Die im Eckpunktepapier vorgeschlagenen Verschärfungen der geltenden Befristungsregelungen werden negative Auswirkungen, die das Befristungsregime jetzt schon hat, verschärfen: Den selbst mitverursachten brain drain der talentiertesten Forscher:innen und die Verschlechterung der Lehre wird die Novelle in der geplanten Form weiter befeuern. Dass das WissZeitVG die selbstgesteckten Ziele nicht erfüllt hat, weiß das BMBF dank mehrerer Evaluationen, die es z. T. selbst beauftragt hat.

Vor diesem Hintergrund irritiert es umso mehr, dass das ›Eckpunktepapier‹ die Befristungslogik nun noch zu verschärfen vorschlägt. Die Kürzung der Höchstbefristungsdauer für die Postdoc-Phase widerspricht nicht nur allem, was die wissenschaftliche Arbeit in dieser Zeit erfordert (wissenschaftlicher Profilierung durch Drittmittelanträge und -forschungen, Publikationen in einschlägigen Fachzeitschriften, von denen viele mehrere Jahre in Anspruch nehmen, Übernahme von Aufgaben in der akademischen Selbstverwaltung, innovativer Lehre, dem Aufbau von Netzwerken usw.), sondern fällt zudem in die Lebensphase, in der viele Wissenschaftler:innen eine Familie gründen und familiäre Care-Aufgaben übernehmen. Verdichtung und Prekarisierung in dieser Phase wirken nachweislich zu Ungunsten von Wissenschaftlerinnen, insbes. Müttern in der Wissenschaft.

Wir als DGS fordern vom BMBF eine Reform der Beschäftigungsstrukturen, die den Wissenschaftsstandort Deutschland stärkt und nicht weiter schwächt. Für die Beratung dazu müssen unter den verschiedenen Interessengruppen neben den Hochschulleitungen entscheidend auch und vor allem die in der Wissenschaft, in Lehre und Forschung selbst aktiv Tätigen beteiligt werden. Exzellente, auch international wettbewerbsfähige Forschung und Lehre braucht Verlässlichkeit, Planbarkeit, Zeit. Sie braucht in Deutschland zudem deutlich mehr langfristige bzw. Dauerstellen in der Breite, auch neben, unterhalb, abseits der (traditionellen) Professur, weshalb die weitere Diskussion über das WissZeitVG auch nicht abgelöst von Fragen der Grundfinanzierung geführt werden darf.

Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie e.V. (DGS)