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›Theoretische Empirie‹ weiterdenken. Zur empirischen Selbst-Kritik (in) der Soziologie

Deadline: 31. März 2023

In der Soziologie wird nicht selten die Trennung zwischen ›empirischen‹ und ›theoretischen‹ Wissenspraktiken beklagt, die – mit Blick auf die Theorie – in einer empiriefernen Arbeit an sozial-theoretischen Grundlagen des Faches zum Ausdruck komme. Trifft diese Diagnose zu, dann bedeutet dies, dass Fortentwicklung und Kritik sozialtheoretischer Annahmen – anders als bei gegen-standsbezogenen Theorien – nicht in der Auseinandersetzung mit empirischen Befunden erfolgen. Das im Rahmen der qualitativen Sozialforschung formulierte Programm einer ›Theoretischen Empirie‹ (TE) (Kalthoff et al. 2008) setzt an diesem Punkt kritisch an: Es fragt nicht nur nach den empirischen Bezügen abstrakter sozialtheoretischer Konzepte. Mit TE ist vielmehr auch die Forderung verbunden, sozialtheoretische Vorannahmen durch ›empirische Sticheleien‹ (Knorr Cetina) zu irritieren. Theorie wird somit nicht bloß ›verwendet‹, sie soll auch problematisiert und kritisiert werden.

Vor allem hinsichtlich der methodologischen Reflexion der Praxis und der Strategien einer TE sind noch Fragen offen. Die Ad-hoc-Gruppe fragt nach Potenzialen der Weiterentwicklung einer TE. Die Vorträge können insbesondere zu folgenden Themenbereichen beitragen:

Eine zentrale Annahme der TE besteht darin, dass sozialtheoretische Grundannahmen zwar nicht falsifiziert, diese aber irritiert werden können. Es geht um die Passung zwischen Theorie und Empirie, die etwa im Rahmen folgender Fragen adressiert werden kann: Wie stellen wir überhaupt fest, ob sich bestimmte theoretische Sehinstrumente mehr oder weniger gut oder aber besser als andere eignen? Welche Formen von Nicht-/Passung können dabei unterschieden werden, und wie verhalten sich diese zur expliziten Kritik an Theorien? Inwiefern eignet sich die TE darüber hinaus dazu, die Theorie-vergleichsdebatte, die Theorien mit Theorien relationiert, mit ›anderen Mitteln‹ – eben empirisch informiert – voranzutreiben?

Wenn TE auf einem Kontinuum zwischen Theorieverwendung und Theorie(weiter)entwicklung operiert, stellt sich die Frage nach verschiedenen Bezugsproblemen eines empirisch fundierten Theoretisierens: Geht es ›bloß‹ darum, empirische Herausforderungen zu nutzen, um Theorien partiell zu irritieren? Oder sollen (und können) Sozialtheorien gleichsam in ihren Grundfesten erschüttert werden? Wo liegen die forschungspraktischen Beschränkungen einer solchen empirisch angeleiteten Fundamentalkritik? Mit Blick auf wissenschaftspolitische Implikationen: Wie verhalten wir uns gegenüber unseren ›eigenen‹ (liebgewonnen) Theorien und den ›fremden‹? Sind wir immer gleicher-maßen kritisch?

Für die Ad-hoc-Gruppe sind drei Vorträge geplant. Erwünscht sind sowohl methodologische Beiträge als auch empirische Fallbeispiele, anhand derer Strategien und Probleme einer Theoretischen Empirie exemplarisch dargestellt und reflektiert werden. Die maximale Votragszeit beträgt 20 Minuten. Wir freuen uns über Vorschläge (max. 2.400 Zeichen inkl. Leerzeichen) bis spätestens 31. März 2023. Senden Sie diese bitte an folgende E-Mail-Adressen: alexander.antony(at)fau.de, kai.ginkel(at)bruckneruni.at