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Wissenschaftliche Evaluation ja - CHE-Ranking nein

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) zum Hochschulranking des Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), Juni 2012

Seit dem Jahr 1998 werden in jedem Frühjahr die Ergebnisse des CHE-Hochschulrankings veröffentlicht, das aus einer Ranggruppenliste der universitären Standorte verschiedener akademischer Fachdisziplinen besteht. Durch die seit 2005 stattfindende Publikation in DIE ZEIT hat dieses Ranking eine hohe öffentliche Sichtbarkeit erhalten.

Seit der ersten Durchführung des CHE-Rankings sind in der Soziologie immer wieder Zweifel an dessen fachlicher Qualität geäußert worden. Dennoch haben die Institute unseres Faches mit Blick auf die Informationsbedürfnisse derer, die sich für ein Studium der Soziologie interessieren, an der Datenerhebung für das Ranking teilgenommen. Mitte letzten Jahres führten die sich häufenden fachlichen und wissenschaftspolitischen Bedenken jedoch an verschiedenen Standorten zu einem Umdenken. Das ? vom CHE sehr gut bewertete ? Institut für Soziologie der Universität Jena hat beschlossen, sich nicht mehr an diesem Ranking zu beteiligen. Daraufhin hat sich der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie eingehend mit dem CHE-Ranking befasst. Nach dem Studium der zugänglichen Dokumentationen und einem längeren Gespräch mit den zuständigen Vertreterinnen des CHE gelangte der Vorstand zu folgender Einschätzung und Empfehlung, die vom Konzil der DGS am 20. April 2012 einstimmig beschlossen wurde:

Fachliche und wissenschaftspolitische Beurteilung des CHE-Rankings

Das CHE-Ranking weist gravierende methodische Schwächen und empirische Lücken auf. Um nur die beiden wichtigsten anzusprechen:

  • Die Qualität der Forschung der Standorte wird vor allem über die Einschätzung durch Kolleg/-innen sowie auf der Grundlage von Datenbanken erhoben, die der Wissenschaftsrat und auch das CHE selbst als nicht geeignet oder jedenfalls nicht hinreichend aussagekräftig beurteilen.
  • Ähnlich wird die Qualität der Lehre vor allem auf der Grundlage einer Studierendenbefragung erhoben, die durch schwache Rücklaufquoten, geringe Fallzahlen und eine ungeklärte Selektivität gekennzeichnet ist. Entsprechend groß ist die Gefahr von Zufallsaussagen. Dagegen werden wichtige und von den Lehrenden nicht beeinflussbare Rahmenbedingungen, so etwa die Betreuungsrelationen und die damit verbundenen Lehrveranstaltungsgrößen, nicht in die Analyse einbezogen. Bei so ungenügender Datenlage ist die Bildung einer Rangreihenfolge kaum zu rechtfertigen.

Die Publikationsformate des Rankings laden mit ihren Vereinfachungen zu weiteren Fehlwahrnehmungen der Sachlage ein:

  • Zwar erhebt das CHE für die Soziologie circa 18 Indikatoren für Forschungs- und Lehrqualität und veröffentlicht diese auch in der Internet-Version des Rankings ? wobei man für die Beschreibung der Ermittlung der einzelnen Indikatoren aufs Kleingedruckte verweist, was kaum ein/e Leser/-in nachvollziehen wird. In der Print-Version in DIE ZEIT werden aber nicht etwa diese 18 Indikatoren zu Indizes zusammengefasst, es werden vielmehr nur 5 - 6 Indikatoren selektiv ausgewiesen, ohne dass dies bei oberflächlicher Lektüre erkennbar wäre. Dabei werden sowohl für die Forschungs- wie für die Lehrqualität ausschließlich die subjektiven Einschätzungen aus den wenigen Befragungen als Bewertungen vorgelegt.
  • Auch und gerade das simplifizierende Ranking mithilfe der Ampelsymbolik täuscht über die Dürftigkeit der Datenbasis hinweg. Es suggeriert, sich hierbei den massenmedialen Präsentationserfordernissen beugend, eindeutige und verlässliche Urteile, die durch die verfügbaren Daten keineswegs gedeckt sind.

Es ist schon für sich genommen bedenklich, dass damit eine Irreführung derer betrieben wird, denen das CHE-Ranking nach Bekunden des Urhebers primär dienen soll ? also all jener, die sich für ein Studium der Soziologie interessieren und denen genauere Auskünfte über einzelne Standorte bei der Wahl des Studienorts und Studiengangs durchaus behilflich sein könnten. Diesbezüglich ist es womöglich Glück im Unglück, dass ? soweit die Lehrenden der Soziologie ermitteln können ? zumindest kaum eine/r derjenigen, die heute das Fach an deutschen Universitäten studieren, sich dabei vom CHE-Ranking hat beeinflussen lassen. Es wird offenbar nur von einer kleinen Minderheit überhaupt ernsthaft zur Kenntnis genommen.

Wirklich problematisch wirkt sich das CHE-Ranking hingegen wissenschaftspolitisch aus ? wofür es, will man den erklärten Absichten seiner Urheber Glauben schenken, überhaupt nicht gedacht war. Faktisch aber lädt es Fakultäts- und Hochschulleitungen sowie Ministerialbürokratien zu extrem simplifizierenden Lesarten ein, ja fordert diese geradezu heraus. Auf deren Basis können dann gegebenenfalls folgenschwere, jedoch sachlich unbegründete Strukturentscheidungen zur Soziologie als wissenschaftlicher Disziplin und zu ihren Studiengängen getroffen werden.

Empfehlungen zum Umgang mit dem CHE-Ranking

Weil das CHE-Ranking erstens gravierende methodische und empirische Mängel aufweist, zweitens Studieninteressierten als seiner erklärten Zielgruppe wesentliche Informationen vorenthält, dafür aber drittens wissenschaftspolitische Entscheidungsträger zu Fehlentscheidungen provoziert, muss sich das Fach Soziologie gegen diese Darstellung seiner Lehr- und Forschungsleistungen in der Medienöffentlichkeit zur Wehr setzen. Vorstand und Konzil der Deutschen Gesellschaft für Soziologie gelangen auf der Basis dieser Einschätzung zu folgenden Empfehlungen:

  1. Nachdem unsere Analysen und die Diskussion der erheblichen methodischen Mängel mit den zuständigen Vertreterinnen des CHE keine Aussicht auf zukünftige wesentliche Verbesserungen des CHE-Rankings ergeben haben, stellen wir hiermit fest, dass diese Evaluation grundlegenden Qualitätsanforderungen der empirischen Sozialforschung nicht entspricht. Als Fachgesellschaft der Soziologie fordern wir die soziologischen Institute an deutschen Hochschulen dazu auf, nicht länger durch ihre Teilnahme an diesem Ranking den Eindruck zu erwecken, dass sie ein empirisches Vorgehen unterstützen, das die Soziologie aus fachlichen Gründen ablehnen muss. Konkret bedeutet dies, dass die soziologischen Institute diesen Beschluss und seine fachliche Begründung gegenüber ihren Fachbereichs- und Hochschulleitungen sowie ihren Studierenden vertreten und erklären und sich insbesondere nicht an der für kommendes Jahr vorgesehenen Datenerhebung für das nächste CHE-Ranking der Soziologie beteiligen sollen.
  2. Die DGS appelliert an wissenschaftspolitische Entscheidungsträger auf Hochschul- und Ministeriumsebene, sich bei ihren Überlegungen und Interventionen zur Weiterentwicklung des Fachs Soziologie an seinen verschiedenen Standorten nicht länger auf Einschätzungen und Informationen zu stützen, die aus dem CHE-Ranking hervorgehen. Es gibt bereits vorliegende verlässlichere Auskünfte; und im Einzelfall sollten anlassbezogene Evaluationen durchgeführt werden, wofür sowohl geeignete Konzepte als auch unvoreingenommene Einrichtungen bereitstehen.
  3. Als empirisch arbeitendes sozialwissenschaftliches Fach beansprucht die Soziologie eine besondere Kompetenz bei der Beurteilung aller Arten von empirischer Sozialforschung, wozu auch Evaluationen wie das CHE-Ranking gehören. Diese Kompetenz impliziert im vorliegenden Fall die Verantwortung, auch anderen, diesbezüglich womöglich weniger sensiblen Fächern zu empfehlen, sich nicht länger am CHE-Ranking zu beteiligen. Denn die für die Soziologie festgestellten gravierenden Mängel und missbräuchlichen Nutzungen dieses Ranking kennzeichnen dessen Anwendung auf andere Fächer in gleicher Weise.
  4. Die Soziologie ist ein in jedem Sinne evaluationskundiges Fach. Aus diesem Grund hat sie sich im Jahre 2006 für eine Pilotstudie des Wissenschaftsrates zum Rating (und gerade nicht Ranking) von Forschungsleistungen zur Verfügung gestellt. Dieses wissenschaftliche Rating hat in einem Verfahren von erheblicher sozialer und sachlicher Komplexität exemplarisch deutlich gemacht, welchen Anforderungen eine seriöse und valide Wissenschaftsevaluation mindestens genügen muss. Um darüber hinaus den spezifischen und berechtigten Wünschen derer, die an einem Studium der Soziologie interessiert sind, nach einer Entscheidungshilfe bei der Studienfach- und Studienortwahl nachzukommen, wird die DGS selbst ein öffentlich zugängliches Informationsangebot aufbauen, in dem in Gestalt deskriptiver Informationen vor allem auch die lokalen Fachprofile ausgewiesen werden.