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Zukünfte der Gesellschaft

Themenpapier zum 43. Kongress der Deutschen Gesell­schaft für Soziologie an der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) Mainz, 28. September bis 2. Oktober 2026

Die Gegenwart der Zukunft

Der 43. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie widmet sich den Zukünften der Gesellschaft. In einer Zeit tiefgreifender globaler Trans­for­ma­tionen – von der Klimakrise über Kriege, den Anstieg des Autoritarismus, den soziodemografischen Wandel bis hin zum zunehmenden Einsatz Künst­licher Intelligenz in vielen Lebensbereichen – stellt sich die Frage nach denk­baren, erwünschten und gefürchteten Zukünften drängender denn je.

Spätestens seit der Neuzeit, der ›Sattelzeit‹ (Koselleck), veränderte sich die Wahrnehmung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – das noch Kom­­mende wurde für die Gesellschaft zur Herausforderung und zum Rät­sel. Bil­der einer besseren Zukunft und Katastrophenszenarien haben soziale Ord­nun­gen immer wieder infrage gestellt und Impulse für Wandel geliefert. Gleich­­zeitig schaffen Bilder der Zukunft Ordnungen und können stabi­li­sie­rend wirken. Als Signum moderner Gesellschaften gilt, dass Zukunft als of­fen und gestaltbar erfahren wird. Sie wird zum Bezugspunkt temporaler Orien­tie­rung und tritt in Konkurrenz zu Konzepten wie Tradition, Schicksal oder Ewig­­keit. Mit Zukünften der Gesellschaft adressiert der Kongress daher nicht ein­fach Chronologien von Ereignissen, sondern die sozialen Prozesse, durch die Zu­kunft generiert und sozial wirkmächtig wird: Welche Zukünfte sind denk­bar? Wer entwirft, verhandelt oder kontrolliert sie? Unter welchen Be­din­gun­gen werden sie wirkmächtig? Zwar bleibt der epistemologische Zu­griff auf Zu­kunft begrenzt – sie ist nicht beobachtbar, sondern antizi­piert –, gleich­wohl ›passiert‹ sie nicht einfach. Sie wird imaginiert, geplant und gestaltet. Uto­pien, Dystopien, wissenschaftliche Prognosen oder poli­ti­sche Szenarien ent­ste­hen dabei nie im luftleeren Raum: Sie verarbeiten ver­gan­gene Erfahrungen, re­agieren auf gegenwärtige Krisen und werden durch his­torische wie aktuelle Deu­tungsmuster geprägt. Während etwa techno­lo­gi­sche Visionen einerseits oft positive Zukunftsbilder prägen, scheint der Zu­kunftsoptimismus ange­sichts globaler Krisen zu schwinden: Die Zukunft wird zum Angstraum, der Sta­tus erscheint als bedrohte Normalität. Der Kon­gress thematisiert Zukunft des­halb im Plural – als Zukünfte der Ge­sell­schaft – um die Vielfalt, Gleich­zei­tig­keit und Konflikthaftigkeit möglicher Zu­künfte in den Blick zu nehmen.

Das Kongressthema rückt die soziologische Reflexion über Zukünfte der Ge­sellschaft erneut in den Fokus. Es zielt darauf, die Soziologie als Zu­kunfts­wissenschaft in doppelter Hinsicht zu aktivieren: als Disziplin, die Zu­kunft als Gegenstand empirisch und theoretisch untersucht, und als Fach, das selbst zukünftige Entwicklungen imaginiert, prognostiziert und mo­del­liert. Dass die Soziologie immer auch eine solche Zukunftswissenschaft war, zeigt beispielhaft der Soziologiekongress von 1926, auf dem vor genau ein­hun­dert Jahren die Zukunft der Demokratie verhandelt wurde. Der Kon­gress lädt dazu ein, die Soziologie nicht nur als beschreibende und ana­ly­sie­ren­de Disziplin zu begreifen, sondern auch als eine, die Perspektiven auf alter­native Entwicklungen und Utopien eröffnen kann.

Die Zukünfte der Gesellschaft als Gegenstand soziologischer Forschung

1. Perspektiven auf Zukünfte

Soziologisch scheint klar: Zukünfte kommen in der Gegenwartsgesellschaft immer im Plural vor. Das schließt nicht aus, dass auch Singularisierungen (›There is no alternative‹)  gesellschaftlich wirksam werden. Der Kongress will dieser Vielfalt gerecht werden und die unterschiedlichen Perspek­ti­vie­run­gen, Bedeutungen und Deutungsmuster von Zukünften sichtbar ma­chen:

1. Welche Themen und Inhalte werden als Zukünfte verhandelt, und wie wer­den sie dargestellt, verknüpft und bewertet? Wann, wie und für wen er­scheint eine Zukunft als attraktive Utopie und Vision, wann als dys­to­pi­sches Schreckens- und Katastrophenszenario? Welche Konzepte von Zu­kunft – etwa vom ›guten Leben‹, Gerechtigkeit oder Befreiung – prä­gen soziologische, feministische und herrschaftskritische Perspektiven? Wel­che Funktion übernehmen Utopien und Dystopien als Denkfiguren ge­sellschaftlicher Kritik?

2. Zukünfte kommen in verschiedenen kommunikativen Formen und Gat­tun­gen vor, sie erscheinen etwa als wissenschaftliche Prognosen, sozio-tech­ni­sche Simulations-Szenarien, ökonomische Versprechungen, künst­le­ri­sche Projektionen, religiöse Prophezeiungen, Forderungen sozialer Be­we­gun­gen oder politische Pläne.

3. Zukünfte werden wirkmächtig, wenn sie gesellschaftlich zirkulieren. Der Kon­gress fragt daher nach den Medien, Praktiken und kommunikativen For­men, durch die Zukünfte gezeigt, erzählt und vermittelt werden. Welche Rol­le spielen dabei Artefakte, Infrastrukturen, institutionelle Prozesse eben­so wie informelle Erzählungen – etwa in Familien, Wahl­ver­wandt­schaf­ten oder durch Oral History? Wie werden Zukunftsentwürfe in klei­nen Gemeinschaften imaginiert und weitergegeben, und mit welchen Effekten realisieren sie sich diskursiv?

4. Manche Zukünfte bleiben Gedankenexperimente, andere streben Ver­wirk­lichung an. Um ihre Durchsetzung wird gestritten. Ihre Realisierung ist kein Zufall, sondern Ergebnis von Gestaltung. Wie werden bestimmte Zu­künfte praktisch verwahrscheinlicht oder narrativ plausibilisiert? Auf wel­che Weise werden alternative Entwürfe delegitimiert, etwa durch die Auf­wertung von Vergangenheit oder Gegenwart?

5. In der Zirkulation und Wirkmächtigkeit von Zukunft kommen auch soziale Un­gleichheiten zum Ausdruck. Um wessen Zukunft geht es –  und wer er­scheint zukunftslos? Welche Zukunftsvorstellungen finden Beachtung, wel­che bleiben unsichtbar oder ausgeschlossen? Zukunftsentwürfe ver­lau­fen entlang sozialer Differenzachsen wie etwa Alter, Gender, Be­hin­de­rung, Herkunft, race oder Klasse. Ressourcen, Deutungsmacht und Hand­lungsspielräume in Bezug auf Zukunft sind ungleich verteilt. Eine so­ziologische Analyse muss diese Machtasymmetrien mitdenken – auch jen­seits kategorialer Gruppenbegriffe, etwa als Prozesse von Sicht­bar­ma­chung, Teilhabe und Ausschluss. Wie erlangen oder verlieren bestimmte Ak­teure Macht über die kollektive Imagination des Kommenden? Was be­deutet Zukunft als politischer Gegenstand im Kontext aktueller Kon­flik­te zwischen Demokratie und Autoritarismus?

6. Schließlich richtet sich der Blick auf die Zukunftsfähigkeit gegenwärtiger Ge­sellschaften. Wie lässt sich der Bann kurzfristiger Erwägungen durch­bre­chen, um sich auf existenzielle Herausforderungen einzustellen? Wie kann eine Politik der Langfristigkeit angesichts kurzer Politikzyklen ge­lin­gen? Wie wappnen sich etwa Städte für den Klimawandel, wie wird mit de­mografischen Verschiebungen umgegangen? Welche Strategien der Resi­lienzbildung entstehen? Und wie lässt sich aus historischen Perspek­ti­ven auf die Zukunft lernen?

7. Doch was genau heißt es, dass Zukünfte ›im Plural auftreten‹? Geht es um eine Vielfalt möglicher und imaginierter Entwürfe, oder gibt es letztlich nur eine einzige, real eintretende Zukunft, die zur Gegenwart von morgen wird? Inwiefern sind soziologische Analysen gefordert, zwischen ob­jek­ti­ven Zukunftsereignissen und deren gegenwärtigen Projektionen zu dif­fe­ren­zieren? Und welche methodischen Herausforderungen ergeben sich daraus für eine Soziologie der Zukunft?

Der Kongress nimmt diese Fragen auf und lädt dazu ein, aus unter­schied­li­chen theoretischen, methodischen und empirischen Perspektiven zu dis­ku­tie­ren, wie Zukünfte der Gesellschaft als analytische Kategorie für die Soziologie frucht­bar gemacht werden können.

2. Zukünfte auf der Makro-, Meso- und Mikroebene

Zukünfte werden auf unterschiedlichen Maßstabsebenen entworfen, ver­han­delt und erlebt – von supranationalen Zusammenhängen bis hin zu all­täg­lichen individuellen Entscheidungen. Dazwischen liegen weitere sozio­lo­gisch adressierbare Analyseebenen wie soziale Milieus, Klassen oder Ge­ne­ra­tionen, die mit je eigenen Zukunftserwartungen, Hoffnungen und Risiken um­gehen – etwa bezogen auf sozialen Aufstieg oder Sorgen um drohenden Ab­stieg und existenzielle Risiken. Diese Ebenen können je spezifisch, aber auch in wechselseitiger Beziehung zueinander betrachtet werden: Wie lassen sich die Dynamiken und Wechselwirkungen zwischen diesen Ebenen so­zio­lo­gisch erfassen?

Makroebene. Auf der Makroebene geht es um großflächige ge­sell­schaft­li­che Dynamiken: Dazu zählen (1) politische und ökonomische Umbrüche, mili­tärische Konflikte und Bedrohungen des Friedens, (2) ökologische und techno­logische Herausforderungen wie Klimawandel, Ressourcen­ver­knap­pung und technologische Umbrüche, (3) demografische und soziale Ent­wick­lungen wie Alterung, sich wandelnde Migrationsgesellschaften, Care-Kri­sen und wachsende Ungleichheiten sowie (4) ideologische Ver­schie­bun­gen durch demokratische Erosion, neue Autoritarismen, Antifeminismus oder Angriffe auf Gleichstellungspolitiken. Zukünfte treffen in der Ge­gen­wart auf eine multipel differenzierte Gesellschaft. Wie wirken geopolitische (Neu-)Ordnungen oder der Umgang mit planetaren Grenzen auf sys­te­mi­sche Weichenstellungen von Zukunft? Welche Auswirkungen hat die ›Zei­ten­­wende‹ für gesellschaftliche Entwicklungspfade? Welche strukturellen Sys­temeffekte haben weitreichende Entwicklungen wie Digitalisierung oder KI – nicht nur für zukünftige Formen des Zusammenlebens, sondern auch für den aktuellen Zugriff auf Zukunft?

Mesoebene. Auf der Mesoebene stehen Institutionen und kollektive Ak­teu­re – Organisationen, Netzwerke, Initiativen – als Mittler von Zukünften im Fokus. Sie fungieren als ›Verteilerköpfe‹, die Ideen aus Nischen her­vor­ho­len und komplexe Pläne operationalisieren. Wie wird Zukunft in sozial­staat­lichen Institutionen, Unternehmen oder der Zivilgesellschaft gestaltet und als Ressource genutzt? Wie kommt die Kontingenz der Zukunft in Bil­dungs­einrichtungen vor, die doch gerade auf das Kommende vorbereiten? In welchen Bereichen (etwa Bildungspolitik, Energie- oder Gesund­heits­ver­sor­gung) sind Aushandlungsprozesse besonders intensiv? Und inwiefern agie­ren Institutionen nicht nur als Mittler, sondern als Zukunfts-Entre­pre­neu­re, die gesellschaftliche Entwicklungen aktiv steuern?

Mikroebene. Auf der Mikroebene wird analysiert, wie Zukünfte in sozialen Inter­aktionen, Biografien und subjektiven Wahrnehmungen erlebt und be­ar­beitet werden. Wie bewegen sich Individuen und Gruppen zwischen Un­ver­fügbarkeit, Unsicherheit und Gestaltungsmacht? Welche Strategien ent­wickeln sie – etwa durch Lebensplanung, soziale Bewegungen oder techno­lo­gische Selbstoptimierung? Wie prägen gesellschaftliche Umbrüche, pre­kä­re Lagen oder Zukunftsoffenheit biografische Zeitstrukturen? Und wie ver­än­dern sich diese Zeitlichkeiten selbst im Zuge neuer gesellschaftlicher Dy­na­miken?

3. Zeitlichkeiten und Strukturlogiken von Zukunft

Soziologische Analysen der Zukunft müssen sich sowohl mit der Zeitlichkeit so­­zialer Prozesse als auch mit den ihnen innewohnenden strukturellen Lo­gi­ken auseinandersetzen. Vorstellungen von Zukunft gewinnen in unter­schied­li­chen zeitlichen Maßstäben gesellschaftliche Relevanz: Der Übergang vom Paar zur Familie, von Krieg zu Frieden oder von der planetaren Krise zum ›post­planetaren Zeitalter‹ wird je unterschiedlich imaginiert. Auch kon­kre­te Jahreszahlen wie 2030, 2038 oder 2045 verleihen bestimmten Zu­kunfts­­erwartungen symbolisches Gewicht. Gesellschaftliche Zukünfte fol­gen dabei nicht einfach einer linearen Fortsetzung der Gegenwart, son­dern unterliegen vielfältigen Rhythmen, Beschleunigungen und Verlang­sa­mun­gen. Diese Un­gleich­zeitigkeit erzeugt Spannungen – etwa zwischen tech­no­lo­gischer Inno­va­tion und sozialer Regulierung oder zwischen Generationen mit unter­schied­li­chen Erwartungshorizonten. Zugleich folgen Zukünfte un­ter­schiedlichen Lo­gi­ken: Sie können als gerichtet oder kontingent, regelhaft oder erratisch gedacht werden.

Die Soziologie verfügt über ein differenziertes Instrumentarium zur Ana­lyse der Temporalität von Zukunft – arbeitet dabei aber selbst mit un­ter­schied­lichen Zeitlogiken. Zeit wird nicht als neutrale Hintergrundgröße ver­stan­den, sondern als gesellschaftlich strukturierte Form: als Medium zur Re­duk­tion von Komplexität (Luhmann), als Ergebnis planerischer Praktiken (Bro­se) oder als Pluralität sich überlagernder sozialer Zeiten (Gurvitch). Zeit­dia­gno­sen – als Genre der Gegenwartsanalyse, das Trends identifiziert und in die Zukunft projiziert – konstruieren dabei eigene Zeitlogiken, indem sie Ent­­wicklungen extrapolieren und Wendepunkte markieren. Ihre Pro­gno­se­kraft wurde wiederholt kritisch hinterfragt, etwa in der KZfSS-Studie von 1998, die zeigte, dass viele Zeitdiagnosen der 60er bis 80er Jahre sich als trü­gerisch erwiesen. Die Rekonstruktion solcher ›Zukünfte von gestern‹ er­laubt einen geschichtssoziologischen Blick auf Zeitdiagnosen als Moment­auf­nahmen gesellschaftlicher Deutung. Der Kongress lädt ein, diese zeit­li­chen Logiken sozialer Wandlungsprozesse und ihre Rolle in der Kon­struk­tion von Zukunft systematisch zu reflektieren.

Welche Temporalitäten sind mit Zukunft verbunden? Soziologische Ansätze wie Luh­manns Konzept der kontingenten Möglichkeit oder Kosellecks Unter­schei­dung von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont verdeutlichen: Zu­kunft ist nicht gegeben, sondern entsteht relational zwischen verschiedenen Zei­ten. Zugleich wirken Zukunftsvorhersagen ins Heute zurück – als nar­ra­ti­ve Konstruktionen, die bestimmte Zukünfte plausibel machen und Hand­lun­gen orientieren. Welche Vergangenheiten der Zukunft wirken fort, wel­che sind obsolet, welche kehren in neuer Gestalt zurück? Und unter welchen dis­ziplinären Bedingungen konnten bestimmte Zukunftsvorstellungen über­haupt entstehen?

Wie können die zeitlichen Logiken von Zukunft analytisch gefasst werden? Zukunft kann als abrupter Bruch (›Zeitenwende‹), als graduelle Entwicklung (›Neo­li­beralisierung der Hochschule‹), als schleppender Prozess (›ge­schlech­ter­ge­rech­te Gesellschaft‹) oder als zirkuläre Dynamik (Kapitalismus­kon­junk­tu­ren) erscheinen. Solche Zeitlichkeiten erfordern spezifische soziologische Kon­­zepte, Kategorien und Beschreibungen – die selbst oft implizite Zeit­vor­stellungen mitführen. Während Modernisierungstheorien etwa von ge­rich­­teten, strukturell angelegten Veränderungsprozessen ausgehen, rücken Pfad­abhängigkeitsmodelle die Bedeutung historischer Entscheidungspunkte in den Fokus, und Theorien sozialer Evolution fragen nach Mustern von Sta­bilität und Wandel in langfristigen Transformationsprozessen. Welche wei­terentwickelten oder neuen Perspektiven braucht es angesichts gegen­wär­tiger gesellschaftlicher Zukunftsszenarien?

Wie unterscheiden sich die Zeitregime verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche? Wirt­schaft und Technologie folgen oft Beschleunigungslogiken, während so­ziale Institutionen, Normen und kulturelle Deutungen anderen Zeit­lich­kei­ten unterliegen. Hinkt das Recht gesellschaftlichen Entwicklungen hin­ter­her – oder kann Regulierung Innovation fördern? Beschleunigen Social Me­dia politische Prozesse, oder verlangsamen politische Entscheidungen me­diale Dynamiken? Und wie lassen sich die Takte verschiedener Ge­sell­schafts­bereiche synchronisieren?

Wie verändern und wandeln sich Zukünfte? Was sind ihre Konjunkturen? Unter welchen Bedingungen gewinnen sie an Aufmerksamkeit, wann gehen sie un­ter? Was bestimmt die Zukunftzugewandheit oder -ignoranz von Ge­sell­schaf­ten?

4. Narrative, diskursive Rahmungen und Deutungshoheiten

Die Art und Weise, wie Zukunft erzählt und symbolisch aufgeladen wird, prägt gesellschaftliche Erwartungen und Handlungsspielräume. Zukunfts­vor­stellungen entstehen nie im luftleeren Raum, sondern sind in soziale Struk­turen, normative Ordnungen und politische Machtverhältnisse ein­ge­bet­tet. In spätmodernen Gesellschaften koexistieren große Meta-Er­zäh­lun­gen mit lokalen, spezialisierten Narrativen, die beeinflussen, wie Zukunft ver­standen und kommuniziert wird. Zukunft ist dabei nicht nur Prognose oder Plan, sondern ein Aushandlungsfeld sozialer Interessen – ein sym­bo­li­scher Ort, an dem Macht, Konflikt und Dissens sichtbar werden. Kritische Per­spektiven, insbesondere feministische und postkoloniale Theorien, fra­gen danach, wer an der Gestaltung von Zukunft beteiligt ist – und wer aus­ge­schlossen bleibt. Narrative Strukturen und diskursive Rahmungen gilt es so­ziologisch zu analysieren – auch in ihrer Positionalität – und auf ihre Be­deu­tung für gegenwärtige Entwicklungen zu befragen.

Wie wird Zukunft in unterschiedlichen Kontexten beschrieben und bewertet? His­to­ri­sche und wissenssoziologische Perspektiven zeigen, dass Zukunfts­vor­stel­lun­gen kulturell variieren und standortgebunden sind (Mannheim). Sie sind ge­prägt von sozialen Institutionen, politischen Programmen und wirt­schaft­lichen Interessen. Zukunftsdiskurse sind nie neutral: Sie spiegeln bestehende Macht­verhältnisse wider und sind in normative Ordnungen und politische Dynamiken eingebettet. Welche Akteur:innen setzen die Deutungsmuster durch, die den Blick auf das Kommende prägen?

Welche affektiven Gehalte und normativen Deutungen spielen eine Rolle? Diskurs­analytische Ansätze machen sichtbar, wie Zukunftsnarrative Hoffnungen und Ängste, moralische Imperative und normative Setzungen transportieren – und dabei affektive Mobilisierung erzeugen. Besonders deutlich wird dies in aktuellen Debatten über Klimawandel, technologische Innovationen oder wirt­schaftliche Transformationen: Hier konkurrieren verschiedene Akteur:in­nen um Deutungsmacht, entwerfen alternative Zukunftsbilder, popula­ri­sie­ren und normalisieren sie, um sie durchzusetzen. Wie formen emotionale und moralische Bewertungen gesellschaftliche Zukunftsvorstellungen?

Welche Beziehungen bestehen zwischen wissenschaftlichen, politischen und popu­lär­kulturellen Zukünften? Soziologische Perspektiven auf Medien- und Techno­lo­giediskurse zeigen, dass Zukunft nicht allein durch Expertise, sondern maß­geblich durch medial vermittelte Narrative geprägt wird. Ob in wirt­schaft­lichen Prognosen, politischen Szenarien wie der 18-Uhr-Hoch­rech­nung oder technologischen Prototypen: Zukunft erscheint als soziale Kon­struk­tion, tief eingebettet in bestehende Machtverhältnisse. Zugleich stellt sich die Frage nach der sozialen Reichweite solcher Narrative: Welche Zu­künfte erreichen wen, durch welche Kanäle, mit welchen Effekten? Und wie unterscheiden sich wissenschaftliche Szenarien von populären Visionen in Li­teratur, Film oder Werbung in ihren Annahmen, ihren Adressierungen, ihrer Wirkmacht?

Wie werden Zukünfte durch Sprache und Metaphern konstruiert? Sozio­lingui­stische und literatursoziologische Zugänge ermöglichen eine Untersuchung der sprachlichen Mechanismen, durch die Zukünfte entstehen. Welche Dis­kur­se, Normen und Machtverhältnisse strukturieren die Aushandlung von Zu­kunft? Welche Begriffe dominieren Debatten um wünschenswerte oder be­drohliche Zukunftsszenarien?

Phänomenbereiche soziologischer Zukunftsforschung

Der Kongress eröffnet einen Raum für die vielfältige Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Zukünften – sowohl aus empirischer als auch aus theo­re­ti­scher Perspektive. Die Erforschung von Zukunft folgt keiner ein­heit­lichen Ord­nung, sondern bildet ein vielgestaltiges Feld mit unter­schied­li­chen Ge­gen­ständen, Begriffen und methodischen Zugängen. Um diese Aus­ein­an­der­set­zung haben sich nicht nur wissenschaftliche Diskurse, son­dern ganze ge­sell­schaft­liche Praxiskontexte und Zukunftsindustrien ent­wickelt. Die Forschung zu Zukünften umfasst dabei sowohl die Analyse kon­kreter Phänomene als auch die Reflexion über Zeit und Temporalität. Wäh­rend empirische Studien un­ter­suchen, wie Prognosen erstellt, Szenarien entworfen oder Technologien als zukunftsgestaltend verhandelt werden, fragt die theoretische Soziologie nach Zeitregimen, Temporalitäten und Zu­kunftssemantiken. Theorie ist dabei nicht bloß heuristisches Werkzeug, son­dern entwickelt eigenständige Per­spek­ti­ven auf das Verhältnis von Ge­sell­schaft und Zukunft. Sie interessiert sich für die Logiken, Paradoxien und Kon­flikte, die Zukunft als gesellschaftliche Ka­te­­gorie strukturieren. Welche theo­retischen Konzepte braucht eine Soziologie der Zukunft? Und wie las­sen sich empirische und theoretische Ansätze pro­duk­tiv aufeinander be­zie­hen, um ein umfassenderes Verständnis gesell­schaft­licher Zukünfte zu ge­winnen?

Die folgende Auflistung möglicher Phänomenbereiche versteht sich vor die­sem Hintergrund nicht als abschließende Systematik, sondern als eine of­fe­ne Sammlung von Themen und Bereichen, in denen Zukünfte der Gesellschaft inszeniert, kon­struiert und wirksam werden. Sie umfasst gesellschaftliche Fel­der, in de­nen Zukunft verhandelt wird, sowie mögliche Gegenstände so­zio­logischer Zu­kunftsforschung. Damit verweist diese heterogene Samm­lung von Phä­no­menen sowohl auf gesellschaftliche Bereiche, die von zu­kunfts­orien­tier­ten soziologischen Perspektiven profitieren können, als auch auf Prozesse, in denen Zukunft selbst zum Gegenstand soziologischer Ana­lyse werden kann. Sie soll so Anknüpfungspunkte für vielfältige sozio­lo­gi­sche Per­spek­ti­ven sowie die Diskussion und Weiterentwicklung sozio­lo­gi­scher Zu­kunfts­for­schung bieten:

  • Politische und gesellschaftliche Ordnungen: Krisen der Demokratie, autoritäre Dy­namiken, neue Formen von Partizipation und Governance, globale Macht­verschiebungen, Protest und Widerstand, Politikberatung sowie tak­tische Felder des gesellschaftlichen ›Changemaking‹ und außen­po­li­ti­sche Zukunftsentwürfe
  • Technologische Entwicklungen: Digitalisierung, Automatisierung und KI (ge­ne­rative und agentische Systeme, autonome maschinelle Entscheidungen, Ro­botik), neue Material- und Energietechnologien, Biotechnologien und Neuro­technologien, Quantenkommunikation, digitale Zwillinge, E-Demo­cracy und digitale Selbstbestimmung, transhumanistische Visionen sowie Zukunftsentwürfe im Kontext von Prototypenentwicklung und Welt­­raumerschließung
  • Prävention, Prognostik und soziale Technologien der Zukunftssicherung: Soziale Mecha­nismen und institutionalisierte Praktiken, die Zukunft verfügbar, kontrollierbar oder vermeintlich vorhersagbar machen sollen – von Ge­sund­heitsprävention, psychologischer Diagnostik, Risikoeinschätzung im Straf­vollzug, Versicherungslogiken, sozialstaatlicher Vorsorge, mili­tä­ri­scher Gefahrenabwehr (zum Beispiel preemptive warfare), racial profiling bis hin zu agrarischen Zukunftstechniken wie der Vierfelderwirtschaft oder teleo­logischen (etwa religiösen oder ideologischen) Ordnungen
  • Arbeit und Wirtschaft: Veränderungen durch Plattformökonomie, Digi­ta­li­sie­rung der Arbeitswelt, Industrie 4.0, Prekarisierung und neue Er­werbs­bio­grafien, demographische Verschiebungen, Wirtschafts- und Finanz­kri­sen, Bedingungsloses Grundeinkommen, alternative Wirt­schafts­mo­del­le, 4-Tage-Woche-Diskurs, ›Innovation‹ als Schlagwort und Leitlinie, die Zukunft der Gewerkschaften, Automatisierung in der Care-Arbeit, Zu­kunft als Ware, Wetten auf die Zukunft
  • Bevölkerungsentwicklung: Alterung von Gesellschaften, Fachkräftemangel, Brain-Drain, transnationale Migration, Automatisierung in Dienst­leis­tungs­berufen, Generationenkonflikte, Familienmodelle, Gender Care Gap, po­li­ti­sche Dynamiken, generationale Ordnung und generational struk­turierte Un­gleichheiten
  • Kulturelle und identitäre Dynamiken: Geschlechterverhältnisse, postkoloniale Transformationen, neue Formen von Zugehörigkeit und Ausschluss, Hu­man­differenzierung, Migration und transnationale Netzwerke, Zukunfts­vi­sionen von Familie und Reproduktion, Kinder als Minderheit, Queering von Zeitstrukturen
  • Körper und Reproduktion: Kryotechnologien, Social Freezing, medizinische Prä­nataldiagnostik, Prepper-Praktiken, Modelle des Umgangs mit Hitze­wel­len und Luftverschmutzung, Umweltgifte und körperliche Naturen-Kul­turen (PFAS in der Luft, Mikroplastik in der Nahrung, Nanoplastik in menschlichen Organen)
  • Ökologische Transformationen: Klimakrise, nachhaltige Stadtentwicklung, neue Mobilitätskonzepte, Naturverhältnisse, Ökotourismus, Generatio­nen­wandel / Infragestellen der generationalen Ordnung, Neubewertung von Lebensstilen, Ressourcenkonflikte im Zusammenhang von geo­po­li­ti­schen und energiepolitischen Zukünften, planetare Grenzen, Geo-En­gi­neering-Debatten, Klimafolgenmigration
  • Sozialpolitik und Bildung: Wandel des Sozialstaats, Konzepte von Care-Ar­beit und sozialer Absicherung, New Public Management, Zukunft von Bil­dung und Wissensproduktion, Universität und Hochschule, Zukunft der Alters­vor­sorge, Privatisierung und Kommerzialisierung von Bildung, Er­ziehung und Sozialisation als zukunftsgerichtete gesellschaftliche Pra­xis
  • Ungleichheit: Ungleichheit perpetuierende Prognostik, Erwartbarkeit des Wach­sens der Differenz zwischen oben und unten, Gleich­heits­vor­stel­lungen in Utopien und Semantiken, global ungleiche Betroffenheit von Krisen, ungleiche Bedingungen, sich überhaupt um (entferntere) Zu­künf­te zu kümmern
  • Zukunftsforschung selbst als soziologischer Untersuchungsgegenstand.

Soziologie als Zukunftswissenschaft

1. Methodologische und methodische Herausforderungen soziologischer Zukunfts­wis­sen­schaft

Die Zukunft ist per Definition nicht direkt beobachtbar – sie existiert nur in­sofern als empirische Gegebenheit, als sie als Projektion, Erwartung oder Mög­lichkeit beobachtbar oder wirksam wird. Diese grundlegende epis­te­mo­lo­gische Herausforderung stellt die Soziologie vor die Frage, wie sie wissen­schaft­lich fundiert über das Kommende als abwesend Anwesendes sprechen und wie sie die Offenheit, Kontingenz und Pluralität von Zukünften empi­risch fassen kann. Während viele sozialwissenschaftliche Ansätze auf die Ana­lyse vergangener und gegenwärtiger gesellschaftlicher Strukturen und Dy­na­miken ausgerichtet sind, stellt sich unter anderem die Frage, inwieweit die Untersuchung von Zukunftsprozessen eine Erweiterung des sozio­lo­gi­schen methodischen Repertoires auch in Richtung einer Form so­zio­lo­gi­scher Zukunftsforschung erfordert, die sich stärker mit der Analyse der ›Zu­kunft als Zukunft‹ befasst.

Besonders diskussionswürdig sind in diesem Zusammenhang Fort­schrit­te in der computergestützten Modellierung gesellschaftlicher Prozesse. In Dis­­ziplinen wie Physik oder Data Science haben sich leistungsfähige Simu­la­tions­verfahren etabliert – etwa für Verkehrssteuerung, Klimamodellierung oder Pandemieverläufe. Auffällig ist, dass soziologische Expertise dabei bis­lang kaum eine Rolle spielt, obwohl solche Modelle zunehmend politische Ent­scheidungen beeinflussen. Welche methodischen und episte­mo­lo­gi­schen Herausforderungen ergeben sich daraus für die Soziologie? Welche Strategien eignen sich grundsätzlich, um Zukunftsvorstellungen, -ängste und -er­wartungen empirisch zu erfassen? Und wie lassen sich Praktiken der Her­stel­lung von Zukünften rekonstruieren?

Die Soziologie bringt eine große methodologische Vielfalt mit, die wich­ti­ge Impulse für Zukunftsstudien liefert. Qualitative Verfahren wie ethno­gra­fi­sche Zukunftsrekonstruktionen, Diskursanalysen oder narrative Inter­views erfassen Zukunftsvisionen, -ängste und -erwartungen von Akteur:in­nen. Zu­gleich ermöglichen Data Analytics, statistische Modellierungen, Trend­­ana­lysen oder dynamische Netzwerkanalysen die quantitative Analyse möglicher ge­sellschaftlicher Entwicklungen – auch im Sinne einer aktiven Pro­duktion von Zukunft. Sozialsimulationen wie agentenbasierte Modelle erzeugen künst­liche Sozialwelten mit interagierenden Agenten, um ge­sell­schaft­liche ›Real­experimente‹ (Krohn) als Was-wäre-wenn-Szenarien zu si­mu­lieren. Das Thema Prognose gewinnt in den Sozialwissenschaften zu­neh­mend an Be­­deutung. Während die Soziologie traditionell auf Erklärung zielt, neh­men da­­tengetriebene Vorhersageverfahren an Einfluss zu – etwa in den Com­pu­ta­tional Social Sciences, wo Prognosemodelle für gesellschaftliche Trends und individuelles Verhalten entstehen. Deren hohe Vorher­sage­genauigkeit geht jedoch nicht immer mit theoretischer Tiefe einher. Welche Aus­sage­kraft haben solche Prognosen? Sollte die Soziologie eigene Ansätze zur Vor­her­sage sozialer Dynamiken entwickeln? Und wie lässt sich durch die Ver­bin­dung von Theorie und Empirie das Potenzial des Faches für die Ge­­ne­rie­rung von Zukunftswissen ausschöpfen?

Inwiefern könnten spekulative Methoden, experimentelle Ansätze oder inter­disziplinäre Kooperationen mit Zukunftsforschung, Technology Assess­ment, Foresightstudien, Designwissenschaften oder litera­tur­so­zio­lo­gi­sche Bezüge eine soziologische Zukunftsforschung bereichern? Welche neu­en methodologischen Debatten ergeben sich daraus für die Soziologie als Disziplin? Wie beeinflussen digitale Methoden und computational social scien­ce die Forschung über Zukunftsprozesse? Solche Fragestellungen er­öff­nen Raum für eine Reflexion über bestehende methodologische und me­tho­di­sche Werkzeuge der Zukunftsforschung sowie für die Entwicklung neuer Per­spektiven, die die soziologische Forschungspraxis bereichern und weiter­entwickeln können.

2. Wie viel Zukunft braucht die Soziologie, welche Soziologie braucht die Zukunft?

Der Kongress lädt schließlich dazu ein, die Soziologie als Zukunftswissenschaft in verschiedenen Hinsichten zu diskutieren:

Erstens als eine Wissenschaft, die sowohl die gesellschaftliche Produktion von Zukunft als auch die Zukunft von Gesellschaften erforscht. So­zio­lo­gi­sche Zukunftsforschung kann sich dabei auf Repräsentationen und Apprä­sen­tationen von Zukunft in der Gegenwart ebenso beziehen wie auf noch un­bekannte Entwicklungen – und so selbst zur Zukunftsforschung ›erster Ord­nung‹ werden. Der Kongress lädt ein zu diskutieren, ob und inwieweit sich die Soziologie über die Beschreibung gegenwärtiger Prozesse hinaus­gehend verstärkt prognostischen Ansätzen widmen kann und sollte. Kann und sollte sie etwa – wie Ökonomie oder Klimawissenschaften – Modelle ent­wickeln, um gesellschaftliche Entwicklungen auch vorausschauend zu ge­stal­ten? Welche Herausforderungen stellt das an das Fach? Zugleich ist zu fra­gen, welche Rolle die Soziologie selbst bei der Gestaltung gesell­schaft­li­cher Zukünfte spielt – indem sie mit ihren Begriffen, Methoden und Mo­del­len Wissen bereitstellt, das gesellschaftliche Prozesse beeinflusst. Inwiefern prä­gen Krisendiagnosen und Unsicherheitsnarrative das Denken und Regu­lie­ren von Zukunft? Welche Rolle spielen soziologische Prognosen in poli­ti­schen Entscheidungsprozessen?

Zweitens soll der Kongress ein Forum bieten, um zu diskutieren, wie sich die Soziologie als Disziplin in der Zukunft verändern wird. Die Grenz­ver­läufe innerhalb des Fachs, aber auch die Grenzverschiebungen um die Dis­ziplin herum stehen dabei im Fokus. Bereits in den 1970er Jahren wurden un­ter dem Begriff einer ›Sociology of the Future‹ (etwa bei Bell) pro­gram­ma­tische Vorschläge entwickelt, um Zukünfte systematisch zum Gegen­stand soziolo­gi­scher Forschung zu machen – ebenso wie in inter­dis­zipli­nä­ren Vorhaben der Fu­turologie. Diese frühen Impulse wurden im Fach je­doch kaum institutionell ver­ankert. Fragen nach Zukunft wurden vielfach an benachbarte Felder dele­giert. Heute ist die Soziologie zunehmend (wie­der) als Partnerin in inter­dis­zi­plinären Zusammenhängen gefragt, sei es in der Technikforschung, der Nach­haltigkeitswissenschaft oder der Demo­gra­fie. Wie sieht das zukünftige Boun­dary Work (Gieryn) aus, mit dem sich die So­ziologie gegenüber anderen Dis­zi­plinen und gesellschaftlichen An­for­de­run­gen positioniert? Welche Im­pli­ka­tio­nen hat dies für das Selbstverständnis des Fachs?

Drittens richtet sich der Blick auf die Zukunft der Soziologie als Frage nach jenen Kommiliton:innen und Kolleg:innen, die das Fach künftig ver­tre­ten: Wie verändern sich Karrierewege, Qualifikationsanforderungen und in­stitutionelle Rahmenbedingungen für Studierende und Forschende in frü­hen Karrierephasen? Der Kongress soll auch hierfür ein Forum bieten – und Per­spektiven sowie Herausforderungen des wissenschaftlichen Nach­wuch­ses sichtbar machen. Wie kann und sollte sich die Soziologie weiter­ent­wickeln, um auch in der Gesellschaft Relevanz beanspruchen zu können, in der die Schüler:innen und Studierenden von heute morgen forschen?

Mainz als Gastgeberstadt und Inspirationsraum

Mainz bietet eine symbolisch aufgeladene Kulisse für die Auseinan­der­set­zung mit gesellschaftlichen Zukünften. Als eine der ältesten Städte Deutsch­lands verbindet es Vergangenheit und Zukunft auf besondere Weise: Ar­chäo­logische Zeugnisse machen historische Kontinuitäten sichtbar, wäh­rend Wis­senschaft, Wirtschaft, Medien und Stadtentwicklung neue Pfa­de er­öff­­nen. Seit Jahrhunderten steht Mainz für Innovation – von Gutenbergs Buch­­druck, der Wissenstransfer und gesellschaftlichen Wandel prägte, über die Main­zer Republik als frühen demokratischen Modellversuch bis hin zu ak­tu­el­len biotechnologischen Durchbrüchen. Diese Verbindung von histo­ri­schem Innovationsgeist und zukunftsweisender Forschung macht Mainz zum idealen Ort für eine soziologische Reflexion über die Gestaltung von Zu­künften. Der Kongress nutzt Mainz als Inspirationsraum, um sozio­lo­gi­sche Perspektiven auf zentrale Fragen der Gegenwart zu entfalten.