Wahl Vorsitz

Wahl Vorsitz

Vorstellung der Kandidatin und des Kandidaten zur Wahl der/des Vorsitzenden

Prof. Dr. Monika Wohlrab SahrProf. Dr. Jörg Strübing
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1. Es ist eine wichtige Aufgabe für die DGS und ihren Vorstand, die Spaltungen, zu denen es in den letzten Jahren gekommen ist (Gründung der Akademie für Soziologie) – soweit es geht – zu überbrücken. Die DGS muss eine Fach­gesellschaft für alle sein. Wir sollten Wege suchen, dies auch in unseren Gremien abzubilden. Demokratie kommt nicht allein über das Mehrheitsprinzip zustande.  

2. Während meiner Zeit im Vorstand der DGS (2001-2007) habe ich ein ›Gastland‹-Programm entwickelt. Daran anknüpfend möchte ich versuchen, die Interna­tio­na­li­sie­rung der DGS auch über die wichtigen westeuropäischen und nordamerikanischen Kon­takte hinaus weiterzu­ent­wickeln. Ich kann dabei auf Netzwerke, die aus meinen zurückliegenden, global orientierten Projekten (›Multiple Secularities: Beyond the West, Beyond Modernities‹) entstanden sind, zurückgreifen. Die DGS sollte eine an globalen Fragen inte­res­sierte und darin kompetente Fachgesellschaft sein, die die Expertise, die viele ihrer Mitglieder mitbringen, nutzt.

3. Das Verhältnis zwischen ›Werturteilsfreiheit‹ und politischem Engagement steht seit den Anfängen der Soziologie auf der Tagesordnung. Diese Frage wird derzeit u.a. in den Aus­ein­an­dersetzungen um Israel/Palästina virulent, ist aber von darüber hinaus gehender Relevanz. Die Beschäftigung mit dem Problem der ›Werturteilsfreiheit‹ war von Anfang an eng mit Fragen der Methode verknüpft. Es ist mir ein Anliegen, diesen Problemzusammenhang systema­tisch in die DGS einzubringen.

4. Über große Verbundprojekte gab es in den letzten Dekaden neue Beschäf­ti­gungs­mög­lichkeiten für den wissenschaftlichen Nachwuchs. An Universi­täts­in­sti­tuten wird dessen Stellung infolge verschärfter Befristungsregelungen prekärer. Auch wenn unser Einfluss in dieser Angelegenheit begrenzt ist, bleibt es unsere Auf­gabe als DGS, uns an der Auseinandersetzung darüber – sowohl mit den Politisch Verantwortlichen als auch mit den die Regelungen umsetzenden Hochschulen – zu beteiligen und dafür Diskussionsforen bereitzustellen.

5. Es bleibt wichtige Aufgabe der DGS, den Kontakt zur DFG und anderen Förderinstitutionen zu pflegen. Ich kann mich dabei auf meine 8 Jahre (2012-2020) währende Tätigkeit als Mitglied des Fachkollegiums für Sozial­wis­sen­schaften der DFG stützen, dessen Sprecherin ich 4 Jahre gewesen bin.

6. Das Ost-West-Verhältnis bleibt gesellschaftlich und politisch brisant und muss auch in der DGS reflektiert werden. Dies betrifft zum Beispiel die lange Zeit dominanten und heute an vielen Stellen überholten Angleichungserwartungen, die weniger optimistische Prognosen, wie sie zu Beginn der 90er Jahre von ostdeutschen Kollegen und Kolleginnen entwickelt worden sind, allzu schnell in den Hintergrund gedrängt haben. 

Um den Vorsitz der Deutschen Gesellschaft für Soziologie bewerbe ich mich vor dem Hintergrund eines langjährigen Engagements für unser Fach und für die DGS. Anfang der 2000er Jahre habe ich in der Kom­mission zur Neuausrichtung der Methodenausbildung in den Soziologiestudiengängen mitge­arbeitet, war danach mehrere Jahre Vorstandsmitglied in der Sektion Methoden der qualitativen Sozial­for­schung und von 2008 bis 2012 ihr Sprecher. Über die kritische Auseinandersetzung mit der Forderung nach einer Archivierung von Forschungsdaten für Sekundäranalysen war ich seit 2014 viele Jahre als gewähltes Mitglied im Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten für die DGS aktiv. Nachdem ich über mehrere Jahre intensiv an der Debatte zur Zukunft der deutschen Soziologie mitgewirkt habe, wurde ich 2019 ins Konzil und 2021 in den Vorstand der DGS gewählt und bin dort seitdem für den Bereich Lehre zuständig. Dort habe ich mich intensiv darum bemüht, die Rolle der Soziologie in der Lehramtsausbildung und im Schulunterricht zu stärken.

Meine Kandidatur verstehe ich als Angebot an alle, die den Weg in eine zunehmend professionalisierte Soziologie mitgehen wollen. Es geht mir darum, die DGS als einen integrativen Kommunikationsraum nach innen und eine starke Interessenvertretung der Soziologie nach außen weiterzuentwickeln und dabei den Kern unseres Faches zu stärken. Mir ist an Dialog im Fach, aber auch an Kooperation mit benachbarten Fachgesellschaften gelegen, denn viele aktuelle Probleme lassen sich – so viel hat mich die Arbeit im Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten gelehrt – nur im kollegialen Verbund lösen.

Mit ihren dreieinhalbtausend Mitgliedern und 36 Sektionen hat die DGS inzwischen eine erhebliche Breite und interne Ausdifferenzierung erreicht. Es bleibt daher nicht aus, dass was die Einen machen, von den Anderen nicht immer für gut befunden wird – was häufig umgekehrt genauso gilt. Der bewusste Claim einer multiparadigmatischen Wissenschaft bringt Dispute und interne Abgrenzungen fast notwendig mit sich. Die auch vor unserem Fach nicht Halt machende Spezialisierung vergrößert die Bandbreite der Positionen und Gegenstandsorientierungen noch zusätzlich. Wichtig scheint mir aber, uns bewusst zu machen, dass wir als Fach alle gemeinsam einen ›ziemlich guten Job‹ machen. Aus der Unterschiedlichkeit der methodischen, aber auch der theoretischen Perspektiven, aus der Bandbreite der thematischen Schwerpunkte, erwächst uns eine Stärke, die wir gerade im Sinne einer professionell agierenden Soziologie noch stärker nutzen und auch nach außen kommunizieren sollten. Mag die Süddeutsche Zeitung auch weiterhin jeden zweiten Tag auf der Titelseite eine obskure psychologische Studie zitieren: Bei relevantem Wissen über soziale Prozesse und Zusammenhänge unserer Gesellschaft kommt man an der Soziologie nicht vorbei.

Die Mitgliedschaft der DGS besteht aus in Forschung und Lehre tätigen Soziolog:innen, solche mit und solche ohne Professur, Promovierte und nicht promovierte. Anders als in manch anderer Fachgesellschaft hat die DGS aber auch studentische Mitglieder. Studierende sind zukünftige Kolleg:innen, die wir auch für fachgesellschaftliches Engagement gewinnen wollen. Es ist daher sinnvoll und wünschenswert, sie frühzeitig in die Arbeit der DGS einzubinden. Mit dem Beirat des Vorstands ist dazu ein wichtiger Schritt unternommen worden, und die Erfahrungen der ersten Beiratswahlperiode zeigen, dass hier ein belebendes Element entstanden ist – sowohl was Denkanstöße in der Vorstandsarbeit betrifft als auch für das Heranführen von Studierenden an die Arbeit und die vielfältigen Möglichkeiten einer Fachgesellschaft. Mit dem studentischen Beirat würde ich auch gerne über Initiativen zu mehr Studienbewerber:innen für unser Fach im Gespräch bleiben, denn hier scheint mir weiter Handlungsbedarf zu bestehen.

Ein wichtiger Punkt in der gegenwärtigen professionspolitischen Debatte ist die Frage einer Reform oder Abschaffung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Gemeinsam mit Paula Villa und dem gesamten Vorstand habe ich mich in der laufenden Wahlperiode in der Profs-für-Hanna-Initiative engagiert; als Vorstand haben wir mehrfach Stellungnahmen dazu veröffentlicht. Angesichts der schwachen Performance der bisherigen Bundesregierung und namentlich des Wissenschaftsministeriums in dieser Frage wird es mir auch im DGS-Vorsitz und in Anbetracht einer neuen Bundesregierung ein besonderes Anliegen sein, gemeinsam mit Kolleg:innen anderer Fachgesellschaften weiter auf eine Verbesserung der Beschäftigungsperspektiven vor und neben der Professur zu dringen. Es braucht ein Ende unnötiger Befristungen, klare Anschlussperspektiven und mehr Dauerstellen für Daueraufgaben. Aufgabe der Vorstandarbeit sehe ich hier zum einen im Stiften von Diskurszusammenhängen, in denen wir klarer bestimmen können, wohin die Universitäten und Fachhochschulen ihre Beschäftigungs- und Governance-Strukturen entwickeln sollten, und zum anderen in der sichtbaren öffentlichen Positionierung der DGS für unsere professionspolitischen Ziele.

Wie halten wir es ansonsten mit der Politik? Gerade in politisch so bewegten Zeiten wie diesen stellt sich immer wieder die Frage, ob und wie wir uns als DGS-Vorstand für unsere Fachgesellschaft zu aktuellen Ereignissen und Entwicklungen positionieren sollen. Ich bin ein durch und durch politischer Mensch, allerdings verstehe ich das Mandat, das die Mitgliedschaft ihrem Vorstand erteilt, in der politischen Dimension als vernünftigerweise limitiert: Als DGS-Vorstand sind wir unbedingt aufgerufen, uns zu wissenschafts- und professionspolitischen Fragen zu Wort zu melden und damit die Interessen des von uns vertretenen Faches wahrzunehmen. Darüberhinausgehende Positionierungen zu aktuellen Konflikten, national wie international, fallen aber nicht unter dieses Mandat. Gute, professionelle Soziologie erfordert aus meiner Sicht zudem immer und bei aller Betroffenheit zunächst die nüchterne Analyse der sozialen, politischen und ökonomischen Zusammenhänge, bevor wir uns als Fach äußern. In allgemeinpolitische Debatten (wie Corona, Ukraine, Nahost) können wir uns als soziologische Fachgesellschaft legitimerweise nur dann mit Beiträgen einmischen, wenn wir über spezifisches Fachwissen verfügen. Das ist allen voran die Aufgabe einschlägig involvierte Fachkolleg:innen; der DGS-Vorstand kann hier lediglich als Verstärker und Multiplikator fachlicher Expertisen wirken. Allerdings, keine Regel ohne Ausnahme: Da, wo die demokratische Grundordnung und ihre zentralen Werte angegriffen werden, darf auch die DGS neben anderen Stimmen aus der Wissenschaft nicht schweigen.

Die Lage ist ernst, schallt es uns allenthalben aus der Gesellschaft entgegen: Eingetrübte ökonomische Perspektiven, marode Infrastrukturen und unabsehbare Kosten für Energie-, Wirtschafts- und Zeiten›wende‹ – das ist eine Mixtur, die für die Finanzierung von Wissenschaft und Forschung gerade in den Sozial- und Geisteswissenschaften nichts Gutes ahnen lässt. In der Tat wird in den Ministerien schon an Kürzungsplänen gearbeitet; da kommt also etwas auf uns zu. Die DGS ist hier aufgerufen, frühzeitig und im Verbund mit anderen Fachgesellschaften zu intervenieren, wenn die Substanz unserer wissenschaftlichen Arbeit und der Ausbildung unserer Studierenden gefährdet wird. Mit Karl Valentin möchte man ausrufen: ›Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie schon ist‹.

Ich würde mich außerordentlich freuen, Sie alle im September 2025 in Duisburg zu unserem DGS-Kongress ›Transitionen‹ begrüßen zu dürfen!