Aus den Sektionen

Call for Papers für den Sektionsnachmittag der Sektion Jugendsoziologie auf dem DGS-Kongress in Bamberg 2016

Offene/geschlossene Gesellschaft? Jugend und Integration in der globalisierten Welt

Gesellschaftliche Integration ist bei Jugendlichen zentral: ›Die‹ Erwachsenengesell­schaft fordert sie, Jugendliche streben sie typischerweise an. Allerdings existieren auch Formen von Integration in deviante oder delinquente Kontexte. Überlegungen zu Integration und Exklusion Jugendli­cher in einer für sie mal offenen, mal geschlos­senen Gesellschaft gehen von der Frage aus, wie sehr die Annahme einer mehrfach ›gespaltenen Gesellschaft‹ (Lesse­nich/Nullmeier) auch auf Jugendliche zutrifft. Rele­vant für die Analyse sind (makro-)strukturel­le Rahmenbedingungen, subjektive Reak­tionen darauf sowie die Verbreitung alterna­tiver, sozial, politisch, religiös motivierter Wirklichkeitsentwürfe, die als Partikularmo­ralen (Durkheim) (nicht nur) Jugendlichen angedient werden.

Bei den ungleichheitsstrukturellen Rah­menbedingungen geht es um den sozial her­gestellten, nicht für alle gleich offenen Zugang zu Ressourcen und Gütern, die Ju­gendliche handlungsfähig machen, ihnen Möglichkeiten zur re­lativ selbstbestimmten Lebens­führung geben und mit deren Aneignung zu­gleich ge­sellschaftliche Integrati­onsprozesse einhergehen. Hier müssen vor allem das Bil­dungssystem, der Ausbil­dungs- und Arbeitsmarkt sowie wohlfahrtsstaatliche Institu­tionen mit ihren Mechanis­men sozialer Öffnung und Schließung berücksichtigt wer­den. Diese Prozess­e finden unter dem Einfluss globalisierter Kommunikati­ons-, Infor­mations-, Waren- und Men­schenströme (Castells) statt.

Gerade die Lebensverhältnisse Jugendlicher mit Migrationshintergrund machen deut­lich, dass für bestimmte Kategorien junger Menschen (immer noch) strukturell be­dingte Schließungen von Gesellschaftsbereichen bestehen. In besonderer Weise gilt dies für die bislang noch we­nig erforschte Gruppe jugendlicher Flüchtlinge.

Im Bildungsbereich ist seit PISA die international hohe Selektivität und relative sozia­le Schließung des deutschen Bildungssystems erklärungs­bedürftig geworden. Kritisiert wird hierzulande, dass Schulen eher soziale Herkunft als Leistungsdifferenzen prämieren. Her­kunfts­bed­ingte Ressourcen werden damit ausschlaggebend für weitere Le­bens­chancen. Veränderungen im Bil­dungssystem erfolgen auch unter Einfluss trans­nationaler Rah­mensetzungen. Die OECD-begleiteten PISA-Studien gelten auch als Instrumente zur ›Ökonomisierung‹ und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Bildung(ssyste­men). ›Mehr Bildung‹, also mehr Investition in das Humankapital, soll die Wirt­schaftskraft steigern. Zu fragen ist, inwieweit das die Öffnung und Schlie­ßung von Chancen be­einflusst.

Ebenfalls integrationsrelevant ist der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Er ist zuneh­mend gekenn­zeichnet durch Deregulierung, Flexibilisierung, Effizienz-, Erfolgs- und Wettbewerbs­orientierung. Als Folge des demographischen Wandels wird versucht, die Jugendphase stärker an der ökonomischen Verwertbarkeit auszu­richten. Hinwei­se auf Öffnungs- und Schließungsprozesse ergeben sich u.a. aus den Einmündun­gen in Ausbildung und Arbeit (die u.a. nach Herkunft und Migrationshin­tergrund vari­ieren), der Expansion des Übergangssys­tems und dem relativ großen Anteil junger Menschen in atypischer Beschäftigung. Da Erwachsenenstatus und gesellschaftliche Integration eng an die vollwerti­ge Etablierung im Arbeits­markt gebunden sind, wird einem Teil der Jugendlichen bei­des zu­nächst vorenthal­ten.

Der ›aktivierende Sozialstaat‹ erzeugt weitere Spaltungslinien. Er steigert die Bedeu­tung der Erwerbsarbeit und die Eigenverantwortlichkeit der Akteu­re. (Auch) Jugendli­che sollen ihre gesellschaftliche Integration zunehmend individuell durch Eigenleist­ung erreichen. Der Ausbil­dungs- und Arbeitsmarkt ist nur für diejenigen ›of­fen‹, die seinen Kriterien entsprechen (können). Ein Scheitern daran wird – wie der Diskurs um die ›fehlende Ausbildungsreife‹ Jugendlicher zeigt – typischerweise individualis­iert. Jugendliche, die den Übergang nicht bewältigen, werden Sozialstaatskli­enten, sollen aber ihre Hil­febedürftigkeit aus eigener Kraft be­enden. (Auch) gesell­schaftliche Regulierungsversuche und insti­tutionelle Problembe­arbeitungen können damit zu Wei­chen­stellungen für Integration oder Exklusion werden.

Integration und Exklusion sind nicht nur Folge aufgezwungener Strukturen, son­dern auch Ausdruck von Entscheidungen; mit ihnen sind (neue) subjektive Wirklichkeiten verbunden, die eine ei­genständige Betrachtung erfordern. Strukturell vorenthaltene Ressourcen und Chancen, gesellschaftli­ches ›Positioniert-Werden‹ und Prozesse der Selbstpositionierung Ju­gendlicher hän­gen zusammen.

Die Vorträge auf dem Sektionsnachmittag sollen folgende Fragestellungen berück­sichtigen:

  • Wodurch werden für bestimmte Kategorien Jugendlicher systematisch und re­lativ dau­erhaft die Möglichkeiten der Inte­gration, der Wahl der Lebensentwürfe und der Optionen der Lebensführung eingeschränkt? Inwieweit geht dies mit Prekarität, Exklusion, Armut einher? Welche pro­duktiven Bewältigungsstrategi­en finden diese Jugendlichen? Wie hängen vorenthaltene Chancen und Selbstpositionierung zusammen? Welche Bedeutung haben dabei alternative Wirklichkeitsentwürfe?

  • Inwieweit wirken globale Ströme (Ideen, Kommunikation, Menschen, Wa­ren) auf die Integration Jugendlicher und ihre Bewältigungsstrategien? Ist ein euro­päischer, transnationaler, globaler Trend in der Gestaltung von Jugend er­kennbar? Welche (anderen) Phänomene werden relevant, wenn die Analyse auf einen transnationalen Bezugsrahmen umgestellt wird?

  • Was bedeutet Integration und Exklusion insbesondere für jugendliche Flücht­linge? Wie hängen (gesellschaftliche) Integration und die Chancenstruk­tur im Aufnahmeland zusammen?

  • Was lässt sich Neues über die Mechanismen im Bildungssystem sagen, über die sich Selektivi­tät, Privilegierung, Bildungsarmut vollziehen? Wie sehr wird die Bildungs-/Leistungsgerechtigkeit als Legitimation in Frage gestellt? Wie wirkt sich die angestrebte größere Durchlässigkeit der Schulformen auf Mobilität und Integration aus? Inwieweit lösen sozi­alstaatliche Hilfeleistungen Prozesse einer ›sekundären‹ Integration/Exklusion aus?

Interessentinnen und Interessenten senden bitte ihr Vortragsangebot mit einem Abstract von maximal 4000 Zeichen sind bis zum 31.03. an Jens.Luedtke(at)phil.uni-augsburg.de oder Marcel.Eulenbach(at)erziehung.uni-giessen.de.