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CfP Paradoxe Gleichzeitigkeiten - Geschlechterverhältnisse in Transitionen

Call for Papers
Paradoxe Gleichzeitigkeiten – Geschlechterverhältnisse in Transitionen

Sitzung der Sektion ›Frauen- und Geschlechterforschung‹
auf dem 42. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ›Transitionen‹
vom 22.-26.09.2025 an der Universität Duisburg-Essen


Die soziologische Frauen- und Geschlechterforschung hat sich seit ihren Anfängen intensiv daran beteiligt, gesellschaftliche Transitionsprozesse zu theoretisieren und kritisch zu hinterfragen. Ob es um den Strukturwandel
von (Erwerbs-)Arbeit geht, um sozialpolitische Veränderungen oder um Umbrüche im Feld von Familie und Sorgebeziehungen, die Frauen- und Geschlechterforschung arbeitete heraus, wie gesellschaftliche Transitionsprozesse genuin vergeschlechtlicht und mit anderen Strukturkategorien (wie ›race‹, ›class‹,
›age‹) verwoben sind. Gleichzeitig ist die Frauen- und Geschlechterforschung eng im Dialog mit emanzipatorisch-feministischen Bewegungen, die selbst zu gesellschaftlichen Transitionen beigetragen haben. Insbesondere in ihren Anfangsjahren in den 1970er Jahren, aber auch in der Folgezeit, hat sie mit den ihr nahestehenden Protestbewegungen weitreichende gesellschaftliche Veränderungen angestoßen. Dazu zählt etwa ihre Auseinandersetzung u.a. mit heteronormativen Lebensformen, zu Gewalt gegen Frauen, zu Mehrbelastung von Sorgearbeit und zu Lohndiskriminierung von Frauen.
In der geschlechtersoziologischen Debatte der letzten Jahrzehnte standen dabei die Ambivalenzen, Paradoxien und Widersprüche vergeschlechtlichter Transitionsprozesse im Zentrum. So brachte Andrea Maihofer (2007) diese Dynamik mit der Diagnose einer paradoxen Gleichzeitigkeit von ›Persistenz und Wandel‹ auf den Punkt: Institutionen, Normen und Praxen können gleichermaßen emanzipatorische Freiheiten eröffnen, während andere in ihren Folgen herrschaftsstabilisierend sind. So markiert die ›Öffnung der Ehe‹ (2017) zwar einen Fortschritt in der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Sorgebeziehungen, die nicht-paarförmig oder nicht-cis-geschlechtlich organisiert sind, werden aber weiter ausgeschlossen und heteronormative Vorstellungen von Familie und Intimität reproduziert.
Angesichts der Konsolidierung rechter und antifeministischer Politiken, die mit Retradionalisierungen und Renationalisierungen einhergehen, stellt sich jedoch die Frage, ob Transitionsprozesse der Gegenwart immer noch angemessen mit ›Persistenz und Wandel‹ oder nicht vielmehr (auch) mit Repression und Rückschritt beschrieben werden müssen. So wurden in einigen Ländern, wie jüngst etwa Österreich, die Rechte von Transgender-Personen und, in den USA, zudem Strategien für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion (DEI) massiv abgebaut. Rechte Politiken richten sich u.a. gegen die Vorstellung einer Flexibilisierung von Geschlecht und zielen auf eine vermeintliche Rückkehr zu einer als biologisch gerahmten Geschlechterbinarität.
Jenseits dieser Transitionsprozesse ›im Großen‹ (aber nicht unabhängig hiervon), stellen auch (kritische) individuelle Lebensereignisse wie Erfahrungen von Verlust, Flucht und Migration, Dynamiken von anerkannter
und nicht anerkannter Diversität, Erkrankung und Verletzung sowie (institutionalisierte) Übergänge in Elternschaft, Bildung, Beruf und Rente Umbrüche dar, in denen Geschlechterkonstruktionen auf der Subjektebene
hervorgebracht und hergestellt bzw. Geschlechterverhältnisse verfestigt oder gelockert werden. Auch hier können paradoxe Gleichzeitigkeiten bestehen, die aber nicht immer sichtbar sind (oder systematisch unsichtbar gemacht werden) und deren Folgen sowohl institutionell als auch subjektiv bewältigt werden müssen. Deutlich wird also, dass gesellschaftliche Transitionsprozesse in ihren widersprüchlichen Wirkungen analysiert
werden müssen. 

In dieser Sektionsveranstaltung laden wir daher zu theoretischen, konzeptionellen und empirisch fundierten Beiträgen ein, die nach der Vergeschlechtlichung von Transitionsprozessen fragen und
dabei ambivalente, paradoxe oder widersprüchliche Gleichzeitigkeiten aufspüren.
- Wie vollziehen sich vergeschlechtlichte Transitionen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern?
Wie sind diese intersektional verwoben und welche Ungleichheitsfolgen bestehen?
- Wie können wir Persistenz und Transition im Zusammenhang mit Geschlechterverhältnissen fassen,
wenn gesellschaftliche Prozesse zunehmend von Rückentwicklungen von emanzipatorischen Errungenschaften
begleitet werden?
- Welche geschlechtersoziologischen Instrumentarien liegen zur Analyse vergeschlechtlichter Transitionsprozesse
vor? Wo kommen diese Instrumente aber auch an ihre Grenzen? Für welche neuen Phänomene bedarf es welche Konzepte, Methoden und Formen der Kritik?

Wir bitten um die Einreichung von Abstracts (maximal eine Seite) bis zum 31.03.2025 an:

hossain(at)staff.uni-marburg.de, mona.motakef(at)tu-dortmund.de,
spies(at)gender.uni-kiel.de, Lena.Weber(at)gesis.org


Organisation:
Nina Hossain (Universität Paderborn),
Mona Motakef (TU Dortmund),
Tina Spies (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel),
Lena Weber (GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften)