Tagungsarchiv

Wissenschaft in der Wissensgesellschaft

Frühjahrstagung der der Sektion Wissenschafts- und Technikforschung in Zusammenarbeit mit NECSTS am 7. und 8. Juni 2002 in München

In der jüngeren soziologischen Debatte wird das Konzept der Wissensgesellschaft vermehrt aufgegriffen und diskutiert. Die enorme Produktion, Verteilung und Zirkulation wissenschaftlichen Wissens und die Bedeutung desselben bei der Gestaltung von Innovationsprozessen und vielen anderen Abläufen moderner Gesellschaften geben einer solchen Konzeption eine hohe Plausibilität. Ausgangspunkt ist hier positives Wissen, das in seiner gesellschaftlichen Verteilung Auswirkungen auf die Strukturierung von Gesellschaft hat. Jedoch zeigen sich gerade im Kontext von Risiko- und Umweltkonflikten spezifische Begrenzungen in der Eindeutigkeit wissenschaftlichen Wissens, was sich in einer Ausweitung der Kommunikation über Ungewissheit oder gar Nichtwissen äußert. Damit wird die vormals hegemoniale Bedeutung wissenschaftlichen Wissens angefochten und andere Wissensformen (Alltagswissen, Erfahrungswissen etc.) kommen mit ins Spiel. Hinzu kommt, dass wissenschaftliches Wissen durch soziale Akteure in ganz unterschiedlicher, ›kreativer‹ und durch die ›Objektivität‹ des Wissens nicht determinierter Weise verwendet wird. Vor diesem Hintergrund sich differenzierender Wissens- und Nachfrageformen stellt sich die Frage nach der Rolle der Wissenschaft in der Wissensgesellschaft neu.

Die Tagung möchte dabei einerseits unterschiedliche Konzepte der Wissensgesellschaft vorstellen sowie Möglichkeiten zur Weiterentwicklung vor allem unter der Perspektive von Wissen und Nichtwissen diskutieren und die Debatte schließlich mit einem anderen Theorieangebot (Theorie reflexiver Modernisierung) kontrastieren. Somit sind drei Arbeitsblöcke für diese Tagung vorgesehen

  1. Wissens als Ware und Produktivkraft: In vielen etablierten Konzepten zur Wissensgesellschaft werden wesentlich Verteilungs- und Verwendungsfragen wissenschaftlichen Wissens diskutiert. Unter einer ökonomischen Perspektive erscheint Wissen dann als Ware bzw. Produktivkraft, wobei die Aufgabe darin besteht, Strukturen für eine möglichst effiziente Nutzung dieser Ware zu entwickeln. Die Lösung wird dann in Formen des Wissensmanagements gesehen. Zu fragen ist hier z.B., welche Vorstellung von Wissen solchen Konzepten des Wissensmanagements (explizit oder implizit) zugrunde liegt und wie dabei das Verhältnis von wissenschaftlichem (Experten-) Wissen und anderen Wissensformen behandelt wird. Zudem ist aber auch zu diskutieren, welche Konsequenzen sich daraus für das wissenschaftliche Wissen selbst ergeben.
  2. Nichtwissen und das Konzept der Wissensgesellschaft: Wie schon angedeutet, nehmen im öffentlichen und politischen Diskurs Probleme der Ungewissheit und des (auch wirtschaftlichen) Nichtwissens immer größeren Raum ein. Manche Autoren sprechen sogar schon von einer ›Unwissensgesellschaft‹ (H. Hegmann). Vor diesem Hintergrund sind einerseits Veränderungen im Verhältnis von Wissen und Nichtwissen zu analysieren und andererseits beobachtete Verschiebungen zwischen Wissen und Nicht-Wissen in ihrer Bedeutung für das Konzept der Wissensgesellschaft zu befragen.
  3. Wissensgesellschaft und reflexive Modernisierung: In einem dritten Block sollen dann die gewonnenen Einsichten mit dem gesellschaftstheoretischen Angebot der Theorie reflexiver Modernisierung kontrastiert werden, in der das Spannungsverhältnis von Wissen und Nichtwissen einen bedeutenden konzeptionellen Stellenwert einnimmt. Ist die ›Wissensgesellschaft‹ eine Erscheinungsform oder Phase reflexiver Modernisierung oder muss die Theorie reflexiver Modernisierung nicht vielmehr tatsächlich von einer ›Nichtwissensgesellschaft‹ sprechen? Oder bleibt das gesellschaftstheoretische Angebot der Theorie reflexiver Modernisierung zu allgemein oder unscharf, um die mit dem Konzept der Wissensgesellschaft angesprochenen Veränderungen adäquat in den Blick zu bekommen.