Portrait
Arbeitskreis "SOCIOLOGY OF THE FAR RIGHT" in der Sektion Politsche Soziologie
Ziele & Fragen des Arbeitskreises
Obwohl Rechtsextremismus die Frage nach sozialer Ordnung und gesellschaftlichen Verträgen akut aufwirft, spiegelt die Soziologie den gesellschaftlichen Umgang mit ihm bislang eher wieder als seine gesellschaftliche Hervorbringung und (fehlende) Aufarbeitung zu reflektieren. Dies macht sich v. a. auf folgenden Ebenen bemerkbar:
Fehlende soziologische Begriffskonzeptionen und Theorien
Zum einen fehlt es weitestgehend an soziologischen Begriffskonzeptionen und eigenen Theorien zum Phänomen. So werden die verwendeten Begriffsdefinitionen (wie etwa das Verständnis von Extremismus oder von Radikalität) häufig eher verfassungsrechtlichen Konzepten und innenpolitischen Positionen entlehnt und nicht empirisch oder sozialtheoretisch fundiert. Ebenso stehen kaum soziologische Theorien zum Verstehen und Erklären der Entwicklungen und Taten zur Verfügung, weil der Fokus gesellschaftstheoretischer Analysen zumeist nicht auf Prozesse gesellschaftlicher Destabilisierung und Dezivilisierung eingestellt ist. Eher werden Ereignisse und Trends im Rechtextremismus en passant in gesellschaftliche Großtheorien eingefügt, ohne die Eigenständigkeit, die sozialen und historischen Muster, die Kontinuitäten sowie die Aktivitäten des Rechtsextremismus und von teils überlappenden Erscheinungen zu berücksichtigen. Dies ist auch dem Umstand geschuldet (oder hat zur Folge), dass bereits zentrale Unterthemen und relevante soziologische Fachgebiete (z. B. die Gruppensoziologie, Soziologie politischer Gewalt etc., Verschwörungstheorien, Antisemitismus, Antifeminismus, Transformationen des Öffentlichen und die Wahrnehmung von Sprechverboten u. v. m.) innerhalb der Soziologie brachliegen, unterentwickelt sind oder abermals gesellschaftliche Ansichten mehr wiederholen als sie zu erforschen.
Methodendefizit und Wissenslücken
Nicht von der eher schwach ausgebildeten begrifflichen und sozialtheoretischen Auseinandersetzung zu trennen ist eine ebenfalls zu konstatierende gering ausgeprägte methodologische Aufarbeitung des Rechtsextremismus insbesondere im deutschsprachigen Raum. Lange nicht alle relevanten Ebenen und Sinnschichten geraten in den Blick, die Beobachtung und Konzeption von zentralen Erscheinungen (neben bspw. Extremismus und Radikalität trifft dies etwa bereits auf ›Einstellungen‹ zu) fällt deutlich hinter den Tätigkeiten anderer Disziplinen (z. B. Politikwissenschaft, Kriminologie, soziale Arbeit) und zivilgesellschaftlicher Organisationen (etwa ›Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum‹) zurück – auch wenn eine Zusammenarbeit mit diesen unerlässlich ist. So fußt dann auch ein Großteil der Forschungsdesiderata auf bereits grundlegende Datenlöcher – der Schock über den NSU-Komplex und dass sich die Soziologie für dessen Aufarbeitung aber bis heute kaum zuständig fühlt, also z. B. weder Gerichtsprozesse noch Untergrundkollektive beobachtet, ist hierfür nur ein Beispiel.
Curriculare, akademische und berufliche Infrastruktur
In dem Maße, in dem die Soziologie eine Erforschung des Rechtsextremismus fast vollständig benachbarten Disziplinen, staatlichen Behörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen überlässt, greifen diese ihrerseits auch kaum auf soziologisches Wissen wie auch Personal zurück. Sofern die akademische Soziologie diesen Schwerpunkt aber auch in ihrer Stellenlandschaft und ihren curricularen Strukturen fast nicht kennt, entsteht hier nicht nur ein substantielles Ausbildungsproblem. Auch ist eine ausgesprochen problematische Beschäftigungslage für Soziolog:innen zu beklagen, die sich in diesem Berufsfeld verorten (wollen).
Verhältnis der Soziologie zum NS(U)
Ohne historisch sehr verschiedene Situationen vergleichen zu wollen ist doch festzustellen, dass eine Soziologie, die sich umfassend und beharrlich mit faschistischen Entwicklungen und Morden befasst, nicht zum ersten Mal eingefordert wird – mit einem diesbezüglichen Apell ist die Soziologie seit ihrem ersten Nachkriegskongress konfrontiert, ohne ihm je nachgekommen zu sein. Um eine inhaltliche und forscherische Aufarbeitung zu erreichen und sich mit den vorangestellten drei Problembereichen zu beschäftigen, ist es notwendig, sich auch mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es zu dieser speziell soziologischen Trägheit bei gleichzeitig eigentlich hoher fachlicher Zuständigkeit überhaupt kommt.
Mit diesen Strängen soll sich im Rahmen des Arbeitskreises "Sociology of the far right" befasst werden,[1] dem es also nicht nur um konkrete Rechtsextremismusforschung, sondern auch um die Ergründung des bisherigen soziologischen Umgangs mit dem Thema geht. Der Arbeitskreis ist aus der Ad hoc-Gruppe "Rechsterrorismus als Herausforderung für die Gesellschaft und die Soziologie" beim 40. DGS-Kongress hervorgegangen. Kongressprogramm mit Übersicht zur Ad hoc-Gruppe
[1] Der Begriff der "Sociology of the far right" wurde gewählt, um in Anschluss an die internationale Forschungsdebatte unterschiedliche Rechtsaußenerscheinungen und begriffliche Zuordnungen (insbesondere Rechtsradikalismus, -populismus, -extremismus, -terrorismus) zu integrieren und eine Abgrenzung von soziologischen gegenüber behördlichen Verständnissen in Deutschland auszudrücken.