Aktuell

Aktuelle gesellschaftliche Debatten zur sozial-ökologischen Transformation des Ernährungs- und Agrarsystems

Call for Papers für die Sektionsveranstaltung auf dem 39. DGS-Kongress in Göttingen, 24.-28.9.2018

Das derzeitige Agrar- und Ernährungssystem steht aus unterschiedlichen Perspektiven zunehmend in der Kritik. Es werden seine Fragilität, Krisenanfälligkeit, fehlende Nachhaltigkeit und Gesundheitsschädigung angeprangert. Gesellschaftliche Debatten, in denen die Probleme, Änderungsbedarfe und Lösungsvorschläge im Agrar- und Ernährungssystem verhandelt werden, sind divers.

Während der ›Bio-Boom‹ auf individuelle Konsum-Verantwortung verweist, die sich auch in Debatten um Vegetarismus oder Veganismus wiederfinden, wird bei Debatten um Glyphosat oder Pestizide im Spannungsfeld zwischen menschlicher Gesundheit und Umweltschutz Regulation gefordert. Unter dem Vorzeichen ›Essen ist politisch‹ finden über die ›Wir haben es satt‹-Demos, sich gründende Ernährungsräte und Bezug zu globalen Kämpfen von Kleinbäuer*innen Forderungen an institutionalisierte Politik ihren Ausdruck. Wiederum andere Perspektive werden in den Debatten um Agrarstrukturwandel, Landflucht und Verstädterung von Ernährungsfragen eingenommen. Diese Debatten werden auch so hitzig geführt, weil Gegendiskurse von mächtigen Akteur*innen, wie z. B. dem Deutschen Bauernverband als eine der stärksten Lobbyorganisationen Deutschlands, ausgehen. Von ihnen werden ebenso der Ausbau industrialisierter Agrartechniken vorangetrieben wie auch eine Kommodifizierung von Regionalität, Bio und Saisonalität.

Daraus entsteht ein oft widersprüchliches und umkämpftes Feld von Deutungshoheit um die sozial-ökologische Transformation des Agrar- und Ernährungssystems. Es wird um Begriffe wie Nachhaltigkeit, Natürlichkeit, Gerechtigkeit, Regionalität und Solidarität gerungen und dabei Dichotomien von Stadt/Land, Produktion/Konsum oder natürlich/künstlich angerufen. Diese Aushandlungen verweisen auch auf den Modus des Diskurses und der Regulation von Transformation. So stellen Mölders und Gottschlich (2017) die These auf, dass ›eine Entpolitisierung durch Prozesse der Bürokratisierung, Individualisierung sowie eine  Ökonomisierung  von  Governance‹  einer  nachhaltigen  Entwicklung  entgegenstehen.  Laschewski (2017) stellt fest, dass dies im individuellen Konsum nachhaltiger Lebensmittel als ›Moralisierung der Märkte‹ Ausdruck findet. 

Hier stellen sich drängende Fragen, zu denen soziologische Forschung einen wichtigen Beitrag leisten kann und muss. Gerade in einem Feld von umkämpften Begriffen und Argumentationen bedarf es theoretischer Betrachtungsweisen. Welche Bündnisse werden eingegangen? Wo findet Aneignung statt und wem nützt das? Welche diskursiven Strategien erweisen sich als innovativ?

Für die Sektionsveranstaltung stellen sich beispielsweise folgende Fragen:

  • Was sind Treiber und wer sind Akteur*innen der Debatten und welche Motivationen stehen dahinter? Welche Rolle spielen soziale Bewegungen, institutionalisierte Politik und Unternehmen?
  • Welche Probleme werden von den Akteur*innen adressiert und welche Lösungen entworfen?
  • Wer wird in den Debatten adressiert? Welche Ein- und Ausschlüsse bestehen? Welche sozialen Milieus sind aktiv und wie sind soziale Arrangements in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse oder die Sozialstruktur gestaltet?
  • Welche Systeme (politisch, ökonomisch, sozial) geraten in Debatten um die sozial-ökologische Transformation des Agrar- und Ernährungssystems in die Kritik?
  • Welche normativen Vorstellungen stehen hinter den Debatten zur Ernährungssicherheit, Ernährungssouveränität und Nachhaltigkeit?

Diese und andere Fragen möchten wir im Rahmen der Sektionsveranstaltung thematisieren. Abstracts mit max. 2400 Zeichen (einschließlich Leerzeichen) können bis zum 30. April 2018 unter Angabe der Kontaktdaten per E-Mail an jana.rueckert-john[AT]oe.hs-fulda.de eingereicht werden. Organisatorinnen sind Prof. Dr. Jana Rückert-John (Hochschule Fulda) und Carla Wember (Universität Kassel und Hochschule Fulda).