Jahrestagung der Sektion Soziologie der Kindheit 2019 in Kooperation mit dem Zentrum für Kindheits- und Jugendforschung (ZKJF) am 19. - 21. September 2019, ZiF, Universität Bielefeld
Die Jahrestagung widmet sich den Methodologien und Forschungszugängen, die für die Soziologie der Kindheit charakteristisch sind. Sie thematisiert und problematisiert die damit verbundenen methodischen Zugriffe und die forschungsethischen Herausforderungen, aber auch blinde Flecken bei der sozialwissenschaftlichen Forschung mit Kindern und zu Kindheit.
Ausgangspunkt und Gegenstand der Tagung ist das aktuelle und markante Profil der deutschsprachi-gen Kindheitsforschung:
Zum einen gibt es eine deutliche Präferenz ethnografischer und diskursanalytischer qualitativer Forschungsmethoden und entsprechender Methodologien in der Kindheitsforschung, die sich den Lebenswelten, Standpunkten und der Agency von Kindern sowie den Herstellungsweisen und Konsequenzen generationaler und sozialer Ordnungsmuster und den damit verbundenen Kindheiten widmen. Kennzeichnend ist oftmals eine Orientierung an mikrosoziologischen Theorien und an neueren Sozialtheorien (z.B. auf den Jahrestagungen 2015 in Halle/Saale und 2017 in Trier: Fangmeyer/Mierendorff, 2017; Bollig/Alberth/Schindler, i.E.). Ergänzend liegen (sozial-)historische Analysen vor, welche die Genese von Kindheitsmustern sowie Brüche und Kontinuitäten in generationalen (Sorge-)Verhältnissen in den forschenden Blick nehmen (wie auf der letzten Jahrestagung 2018 in Stendal).
Zum anderen lässt sich eine etablierte quantitative Tradition identifizieren, die in kritischer Nähe zu Sozialberichterstattung sowie Bildungs- und Armutsforschung soziale Ungleichheiten in gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen analysiert. Diese quantitativen Zugänge sind häufig vergleichend ausgerichtet – sowohl im zeitlichen Verlauf als auch im (inter-)nationalen und regionalen Vergleich mit Blick auf Lebenswelten und Lebensverhältnisse von Kindern in Ost und West, in unter-schiedlichen europäischen Regionen sowie zur sozialen Lage der Kinder und zu Kinderarmut in reichen Wohlfahrtsstaaten (siehe Betz/Bollig/Joos/Neumann, 2018 und zuletzt auch die Sektionsveranstaltung ›Child-well-being. Indikatorenbasierte, rekonstruktive und dekonstruktive Perspektiven auf ein Erfolgskonzept‹ auf dem Kongress der DGS in Göttingen 2018).
Die unterschiedlichen methodologischen Paradigmen, die mit diesen beiden Ausrichtungen der Kindheitsforschung verbunden sind, koexistieren relativ konfliktfrei. Dies ist sicherlich der Expansion und Ausdifferenzierung der Kindheitsforschung selbst geschuldet und unter dem Gesichtspunkt des ›Betriebsfriedens‹ erfreulich. Allerdings läuft diese mehr oder wenig separierte Konturierung und Bearbeitung der Forschungsgegenstände auch Gefahr, paradigmatische, erkenntnistheoretische und –politische Konflikte auszublenden, bzw. das Potential einer wechselseitigen kritischen Bezugnahme nicht auszuschöpfen. So werden beispielsweise die Herausforderungen der Triangulation und von mixed-methods-Ansätzen selten explizit thematisiert. Und auch die forschungsethischen Herausforderungen, die nicht zuletzt mit dem sozialen Status von Kindern verknüpft sind, werden in den qualitativen und quantitativen Zugängen nicht zentral diskutiert, theoretisiert und bearbeitet. Ersteres fällt vor allem im Vergleich mit einer auch methodisch sich ausdifferenzierenden Bildungsforschung auf. Letzteres wird vor allem im Vergleich zur angelsächsischen und skandinavischen Kindheitsforschung deutlich.
Die Jahrestagung will sich ausgehend von diesen Diagnosen und unter Rückgriff auf drei leitende Perspektivierungen mit geladenen (internationalen) Keynote-Vorträgen und Einzelvorträgen unter anderem den folgenden Fragen widmen:
Paradigmatische und methodologische Perspektiven: Welche Zusammenhänge bestehen zwischen methodologischen Zugängen, kindheitssoziologischen Wissensbeständen und Erkenntnisinteressen? Es geht um Fragen nach (1) den Kernbeständen und Instrumentarien quantitativer und qualitativer Kindheitsforschung, (2) ihren programmatischen Aufgaben (Theoriebildung, Erforschung empirischer Phänomene, Bereitstellung sozialtechnologischer Expertise etc.), (3) dem wechselseitigen Export und Import von Forschungsgegenständen und Problembeschreibungen von Soziologie, Erziehungswissenschaft und weiteren (Teil-)Disziplinen, sowie (4) dem Aufbau und der Anwendung von sozialwissenschaftlichen Wissensbeständen und den damit verbundenen Fragestellungen zu und Erklärungen von Kindheiten und generationalen Ordnungsmustern.
Gegenstandstheoretische und methodische Perspektiven: Wie bringen spezifische forschungsmethodische Zugänge Kinder und Kindheiten in je spezifischer Weise (mit) hervor und welche Kombinationen von Forschungszugängen und Triangulationen sind möglich und nötig? Diese Perspektivierung stellt (1) auf die Problematisierung des Verhältnisses von Erkenntnisinteresse, Forschungsmethoden und Forschungsobjekten (Kinder, Kindheit, generationale Ordnungsmuster, generationale Ordnungsprozesse etc.) ab, (2) auf Kinder und Kindheiten als Konstrukte der Soziologie der Kindheit im historischen und internationalen Vergleich, (3) auf die Folgen dominanter Forschungspraktiken für das Forschungsfeld und den Gegenstandsbereich der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung, sowie (4) auf die erkenntnispolitischen Folgen für die gesellschaftliche Wirklichkeit.
Forschungsethische und forschungspolitische Perspektiven:Welche forschungsethischen Fragen bedürfen in der Kindheitsforschung einer zentraleren Beachtung und wie werden die unterschiedlichen Methodologien und Methoden diesen in der Forschungspraxis gerecht? Dieser dritte Zugang soll der Diskussion, Reflexion und Auslotung forschungspragmatischer Lösungen für forschungsethische Fragen und ihrer forschungspolitischen Konsequenzen dienen, die (1) das Verhältnis von erwachsenen Forscher_innen zu beforschten Kindern, (2) die sozialen Folgen partizipativer Forschung für teilnehmende Kinder (3) Entscheidungen in der Datenerhebung und -auswertung, (4) die gesellschaftliche Sichtbarmachung kinder- bzw. kindheitsbezogenen Wissens, sowie (5) Aspekte der Archivierung und Nachnutzung von Daten zu Kindern und Kindheiten betreffen.
Vor dem Hintergrund dieser Perspektivierungen stellen wir uns Beiträge vor, die u.a. folgende Schwerpunktsetzungen und Fragestellungen verfolgen:
- Wie werden Kinder und Kindheiten durch die jeweils spezifischen methodologischen und methodischen Zugänge konstituiert? Welche Themen, Fragestellungen, Problemstellungen zu Kindern und Kindheit werden dabei mit welchen Konsequenzen gerade NICHT untersucht und beforscht?
- Wo liegt der gegenwärtige systematische Einsatz quantitativer Methoden in der Kindheitsforschung, ggf. auch in Kombination mit qualitativen Zugängen?
- Welche Forschungsstile und Möglichkeiten der Generalisierung ergeben sich aus den unterschiedlichen Zugängen und wie werden Theorien der Kindheit durch quantitative, qualitative und triangulierende Untersuchungen bereichert, überprüft und empirisch abgesichert?
- Welche Konsequenzen haben dominante Zugänge (wie u.a. Ethnografie, Praxistheorien) für das Forschungsfeld und für seinen Gegenstandsbereich und welches Wissen wird durch dominante methodologische Zugänge in der Kindheitsforschung ausgeblendet?
- Was bringt eine Einbeziehung von Kindern in den Forschungsprozess mit sich? Welche unter-schiedlichen Funktionen hat dieser Einbezug? Worin liegen Stolpersteine und auf welchen methodologischen Grundlagen basieren die jeweiligen Forschungszugänge?
- Wie kann mit für die Kindheitsforschung (un-)typischen forschungsethischen Fragen umgegangen werden? Wie erfolgt die Theoretisierung dieser Erfahrungen und wie lassen sich daraus Gütekriterien und Standards guter Forschungspraxis generieren?
- Inwiefern erzeugen die Methoden der Kindheitsforschung gesellschaftliche Zusammenhänge und soziale Ordnungen und wie kann die Kindheitsforschung umgekehrt auf politische oder praxisfeldbezogene Anfragen oder Inanspruchnahmen reagieren (z. Bsp. auf den Wunsch, die Perspektive von Kindern abzubilden)?
Wir freuen uns auf zahlreiche Einreichungen!
Bitte richten Sie Ihre Einreichungen für die Einzelvorträge zum Tagungsthema (Word-Datei, Titel des Beitrags, Abstract, Name, E-Mail-Adresse und Institution/Affiliation, zusammen ca. 2.500 Zeichen) bis spätestens zum 03. März 2019 an Dr. Lars Alberth unter: l.alberth(at)ish.uni-hannover.de
Sie erhalten im April 2019 eine Rückmeldung des Organisationskomitees.
Die forschungsethischen Fragen werden zusätzlich zentraler Gegenstand einer der Jahrestagung vorgeschalteten Forschungswerkstatt zu projekt- und materialbezogenen Fragestellungen am 19. September 2019 sein, zu der in Kürze ein eigener Call for Papers veröffentlicht wird.
Das Organisationsteam
Lars Alberth (Leibniz Universität Hannover)
Tanja Betz (Johannes Gutenberg-Universität Mainz)
Magdalena Joos (Universität Trier)
Helga Kelle (Universität Bielefeld)