Tagungsarchiv

Innovationen und gesellschaftlicher Wandel

Herbsttagung der Sektionen Arbeits- und Industriesoziologie und Wissenschafts- und Technikforschung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am 12./13. Oktober 2007 in Dortmund

"Innovation" – Zauberformel für eine bessere Zukunft, ständig gebrauchtes Modewort, Leerformel oder ernst zu nehmende Kategorie, die geradezu als Signatur einer Epoche angesehen werden kann? Festzuhalten ist: Das Innovationsthema ist ein Dauerbrenner in vielen Debatten auf der politischen und gesellschaftlichen Bühne; es gehört geradezu zum guten Ton, dass Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit gebetsmühlenartig behaupten, innovativ zu sein und beständig Innovationen hervorzubringen. Innovationen gelten als der zentrale Ansatzpunkt für die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Steigerung von Wachstum. Ähnliches betont die wissenschaftliche Debatte, wo etwa mit Rückgriff auf Schumpeter technische und organisatorische Innovationen als die zentrale Triebkraft sozio-ökonomischen Wandels angesehen werden. Innovationen und eine steigende Wissensintensität sozialer und wirtschaftlicher Prozesse gelten geradezu als "Signatur der Epoche". Die bekannten Formeln von der "Knowledge Economy" und der "Wissensgesellschaft" bündeln diese Debatten. Auch die Wissenschafts- und Technikforschung wie auch die Arbeits- und Industriesoziologie haben sich in unterschiedlichen Perspektiven und mit verschiedener Intensität bislang an dieser Debatte beteiligt. Freilich verbinden sich mit dieser Debatte zugleich nach wie vor ungeklärte Fragen, Engführungen und widersprüchliche Positionen. Zu nennen sind vor allem:

(1) In empirischer Hinsicht ist unstrittig, dass große Unterschiede zwischen den Innovationsverläufen in unterschiedlichen Wirtschaftssektoren und Unternehmenstypen sowie in Hinblick auf unterschiedliche historische Phasen der technologischen Entwicklung existieren. Hierzu hat die sozialwissenschaftliche Innovationsforschung instruktive Studien vorgelegt. Zugleich aber ist zu vermuten, dass diese relativ eindeutigen Zuordnungen und Innovationsmuster im Kontext des sozio-ökonomischen Strukturwandels zunehmend erodieren und neue Formen der Wissens- und Technologieproduktion Platz greifen. Thematisiert wurde dies schon vor längerem mit der Formel des "Mode 2" der Wissensproduktion. Offen sind indes Fragen wie die nach den Konsequenzen der wachsenden Bedeutung sogenannter Querschnittstechnologien, der fortschreitenden Globalisierung und dem Wandel der internationalen Arbeitsteilung für eingespielte Innovationsmuster und Innovationssysteme.

Darüber hinaus werden vermehrt Innovationsmuster diskutiert, die durch den Einbezug von KundInnen und TechnologieanwenderInnen oder auch von ursprünglich ausführenden Beschäftigten charakterisiert sind. In diesem Zusammenhang ist nicht nur zu fragen, inwieweit damit neue und typische Muster von Innovationsprozessen erkennbar und in welcher Weise diese organisatorisch umgesetzt und realisiert werden, sondern auch welche Konsequenzen der Anspruch an dauernde "Innovationsfähigkeit" für die Beschäftigten in unterschiedlichen Funktionen und Sektoren hat?

(2) In konzeptioneller Perspektive werden vermehrt institutionalistische Ansätze diskutiert, die die gesellschaftliche Einbettung technologischer Innovationen, die Herausbildung und den Wandel von Innovationsregimen bzw. -systemen betonen. Dabei steht bislang die Pfadabhängigkeit von übergreifenden Innovationssystemen und technologischen Spezialisierungsmustern bestimmter Länder oder Ländergruppen und damit verbundenen komparativen Vorteilen im Vordergrund. Branchen- und technologiespezifische Besonderheiten, Brüche und Pfadwechsel bleiben häufig unberücksichtigt, so dass oft die Spezifik des Gegenstands, nämlich die Entstehung, Entwicklung und Diffusion bestimmter Technologien im Wechselspiel mit ihrer gesellschaftlichen Einbettung verloren geht. Zu fragen ist zudem, ob das Konzept der Pfadabhängigkeit und der Kontinuität komparativer Spezialisierungsvorteile angesichts des schon erwähnten Drucks von Globalisierung und international ausgerichteten Innovationsstrategien großer Unternehmen noch angemessen ist und welche konzeptionellen Konsequenzen daraus folgen. Welche Handlungs- und Gestaltungsspielräume haben welche Akteure und welche gesellschaftlichen Bedingungen und Folgen lassen sich im Kontext des Wandels von Innovationssystemen beobachten?

(3) Demgegenüber ist in der innovationspolitischen Debatte die Vorstellung relativ einfacher, überschaubarer und vor allem politisch steuerbarer Prozesse vorherrschend, die der Komplexität von Innovationsprozessen kaum gerecht wird. Prominent ist bis heute das Modell eines linearen Innovationsverlaufs. Danach ist es für die Entwicklung auf dem Markt erfolgreicher Produkte hinreichend, wenn vor allem der Staat (oder weiterer mächtiger Wirtschaftsakteure) Milliardenbeträge in Forschung und Entwicklung oder wissenschaftliche Großprojekte pumpen und für einen möglichst reibungslosen Transfer des auf diese Weise erzeugten technologischen Wissens sorgen. Zudem blendet der öffentliche Diskurs völlig die Entwicklungspotentiale traditioneller Technologien aus. Auch bleibt gerade in der öffentlichen Debatte oftmals völlig unklar, was mit Innovationen eigentlich gemeint ist. Werden damit im traditionellen Sinn technologische Entwicklungen angesprochen, geht es dabei auch um Fragen von organisationalen und institutionellen Wandel oder wird mit diesem Begriff ein generell modernitätsorientierter Habitus angemahnt?

Die offenbar hohe Bedeutung von Innovationsprozessen im Kontext des gegenwärtigen gesellschaftlichen Wandels wie insbesondere die genannten Themenkomplexe sollen Gegenstand der Sektionsveranstaltung sein. Es sind Beiträge willkommen, die diese Zusammenhänge theorieorientiert und/oder auf der Basis empirischer Untersuchungsergebnisse thematisieren. Weiterhin sollte es um eine Klärung des Innovationsbegriffs gehen, der zudem eine Dialogperspektive mit der innovationspolitischen Praxis eröffnet. Dazu kann auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der in Deutschland seit längerem praktisierten Verbundforschung zur Förderung der Innovationsfähigkeit von Unternehmen durch Arbeits- und Organisationsgestaltung gehören. Schließlich wird angestrebt, einen Bezug zu Forschungsergebnissen der angelsächsischen "Innovation Studies" herzustellen, die in der deutschen Debatte bestenfalls nur mit Verzögerung aufgegriffen werden.

Wir bitten um die Zusendung eines Abstracts von einer Seite Länge bis zum 31. Mai 2007 an die unten stehenden Juroren der beiden Sektionen. Eine Entscheidung über die Auswahl der eingereichten Abstracts erfolgt bis zum 30. Juni 2007. Entwürfe der Vorträge sollen bis zum 15. September 2007 vorgelegt werden. Die Vortragspapiere sollen vorab an die Teilnehmer der Tagung verteilt werden.

Juroren

Arbeits- und Industriesoziologie

Prof. Dr. Hartmut Hirsch-Kreinsen
Hartmut.Hirsch-Kreinsen(at)uni-dortmund.de 

Dr. Heike Jacobsen
jacobsen(at)sfs-dortmund.de 

PD Dr. Katharina Bluhm

Katharina.Bluhm(at)uni-jena.de 

Wissenschafts- und Technikforschung

Prof. Dr. Johannes Weyer
Johannes.Weyer(at)uni-dortmund.de 

PD Dr. Ingo Schulz-Schaeffer
schulz-schaeffer(at)tu-berlin.de