Tagungsarchiv

Regulierung unsicherer Zukünfte. Die Risiken neuer Medien als Gegenstand von Governance

Sektionsveranstaltung der Sektionen Rechtssoziologie und Wissenschafts- und Technikforschung im Rahmen des 34. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie "Unsichere Zeiten. Herausforderungen gesellschaftlicher Transformation" am 10. Oktober 2008 in Jena

Gesellschaftlicher Wandel ist immer auch technologischer Wandel, der oftmals von der Vorstellung getrieben wird, durch neue Technik bestehende Unsicherheiten bewältigen zu können. Technologische Innovationen bergen jedoch ihrerseits ein hohes Maß an Unsicherheit, da sie als Risiko und Chance zugleich beschrieben werden können. Risiken und deren Vermeidung, aber auch umgekehrt die Sicherung von Zukunftsfähigkeit sind daher zum Gegenstand von Regulierung. Während sich in den vergangenen Jahrzehnten das Interesse auf Fragen der Risikoregulierung konzentrierte, sind neuerdings vermehrt Ansätze zu einer ?Innovationsregulierung? zu beobachten. In beiden Fällen geht es darum, die technische Entwicklung zukunftsoffen zu gestalten.

Technology Assessment, Technology Foresight, Science and Technology Roadmapping und ähnliche Modelle haben sich im Umgang mit solchen Unsicherheiten etabliert. Sie alle werden unter dem Paradigma der Governance diskutiert. Governance wird u. a. als Antwort auf die charakteristischen Probleme verstanden, die mit Formen der Steuerung von Technikentwicklung zusammenhängen, welche im Wesentlichen auf wissenschaftlicher Prognose basieren. Governance meint ein umfangreiches Set unterschiedlicher Regulierungsinstrumente, das von unterschiedlichen Akteuren auf unterschiedlichen Handlungsebenen eingesetzt wird. Kennzeichnend für Governance sind die vernetzte Struktur der Akteure, das Fehlen eindeutiger hierarchischer Beziehungen sowie die Bedeutung kommunikativer und informeller Elemente. Das Governanceparadigma ist eine Reaktion auf die Komplexität von Technikregulierung und insofern mehr als eine bloße Umstellung von Steuerungssemantiken (Renate Mayntz).

Die Regulierung der Neuen Medien bietet für die Erörterung dieser Fragen ein hervorragendes Anwendungsfeld. Medien- und kommunikationstechnische Innovationen (Digitale Plattformen, Internet, Mobilfunk und neueste Entwicklungen wie etwa Web 2.0) haben nicht nur die Grenzen zwischen Massen- und Individualkommunikation verändert, sondern es sind auch neue Risiken und Regulierungsbedarfe entstanden, die auf das Spannungsverhältnis von technischen und rechtlichen Strategien der Unsicherheitsbewältigung verweisen.

Der Regulierungsbedarf auf diesem Feld hängt eng mit der Technik selbst zusammen. In Folge der massenhaften Verbreitung neuer Medientechnologien, aber auch neuer Formen der ubiquitären Datenerhebung durch smarte Objekte hat sich verbreitet ein routinisierter Umgang mit der Technik eingestellt, der zu einer kaum mehr kontrollierbaren Preisgabe von Daten in großem Umfange führt. Der konkrete individuelle Nutzen scheint gegenüber der abstrakten Gefahr vernachlässigt zu werden.

Zudem wird ein paradoxes Phänomen sichtbar: Während die Bereitschaft steigt, sich selbst im Netz oder in Talkshows darzustellen, reagiert man empfindlich auf Versuche, Daten für staatliche Zwecke, etwa zur Verbrechensbekämpfung, zu erlangen. Auch hier stellt sich die Frage nach dem angemessenen Gleichgewicht zwischen Selbst- und Fremdbestimmung sowie zwischen staatlich garantierter Sicherheit und individueller Freiheit.

In rechtssoziologischer Hinsicht stehen mindestens zwei Paradigmen der Unsicherheitsbewältigung zur Diskussion: Erstens eine Unterwerfung medientechnischer Entwicklungen unter das strengere Regime des Rundfunkrechts mit weitgehenden, rechtlich legitimierten Eingriffsmöglichkeiten und zweitens prozedurale und partizipative Ansätze der Medien-Governance, die den Subsystemen der Technik und des Rechts - und damit seinen Akteuren - Gestaltungsspielräume lässt (?Regulierte Selbstregulierung?).

Für die Sektionsveranstaltung ergeben sich daraus folgende Fragen:

  • Welche theoretischen Konzepte stehen für das Verständnis der technologischen Entwicklung, der mit ihr einhergehenden Verunsicherungen sowie deren Regulierung zur Verfügung?
  • Wie können zukünftige Innovationen und deren Risiken angemessen mit Instrumenten der Regulierung beobachtet und gesteuert werden?
  • Wie leistungsfähig ist das Konzept der Governance in diesem Zusammenhang der Unsicherheitsbewältigung?
  • Welche Vor- und Nachteile bietet die Partizipation von Nutzern und Rezipienten bei der Entwicklung und Verbreitung neuer Medientechnologien in den neuen Formen des Technology Assessment?
  • Wie reagieren Konsumenten auf neue IuK-Technologien? Wie ist ihre Perspektive auf das Thema Unsicherheit? Sind Governance-Instrumente in der Lage, gegebenenfalls Formen der souveränen und kreativen Aneignung von Medien zu berücksichtigen?


Abstracts für Beiträge zu diesen Fragen (mit empirischem und/oder theoretischem Fokus) werden bis zum 11.04.2008 erbeten an die Organisatoren:

Alfons Bora (Rechtssoziologie)
Mail: bora(at)iwt.uni-bielefeld.de 

Johannes Weyer (Wissenschafts- und Technikforschung)
Mail: vorname.name /at/ uni-dortmund.de
(bitte "vorname.name" ersetzen)


Programm

Sind das deine Daten? Kontemporäre Selbstpraktiken und ihre medientechnische Transformation

Jan-Hendrik Passoth [Universität Bielefeld]

Die Ökonomisierung von Vertrauen und Affekt ? Ein Ansatz zur (Selbst-)Regulierung technologieabhängiger Risiken durch Konsumenten?

Martin Klamt [München]

Was nützt das Lernen in Diskursen? Neue Medien als Gegenstand prospektiven Rechts

Marc Mölders [Universität Bielefeld]