Tagungsarchiv

Technik und Wiederkehr der Natur. Zur Ästhetik der schöpferischen Zerstörung

Sektionsveranstaltung der Sektionen Umweltsoziologie und Wissenschafts- und Technikforschung 18.-19. Juni 2009 in Leipzig

Der Workshop setzt dem beständigen und berechtigten Thema der durch technische Eingriffe induzierten Naturzerstörung ein unbeständiges und überraschendes entgegen: Die Entstehung neuer "Naturen" aus dem Geist der technischen Zerstörung. Nicht weit vom Tagungsort Leipzig entfernt ist zu beobachten, wie die durch den Braunkohletagebau verursachten irreversiblen Umweltzerstörungen von extremen Ausmaßen bizarre Landschaften von außereuropäischem Reiz schufen, die nun wiederum mit modernstem technischem Gerät erschaffenen Naturgebieten und Seenplatten weichen. "Schöpferische Zerstörung" zitiert den Ökonomen Joseph Schumpeter, der sich auf den Soziologen Werner Sombart berief, den Friedrich Nietzsches Kulturtheorie des Verlangens nach Neuem durch Verlangen nach Zerstörung beeindruckte. Auf Marx, Hegel und Herder geht die Vorstellung zurück, dass historische Entwicklung den Preis der Zerstörung einschließt. Eine besondere Bedeutung gewann der Topos für die Ästhetik der Moderne, seit Baudelaire die "Lust an der Zerstörung" besang. Also ein Thema der Ökonomie, der Kultur, der Geschichte und der Kunst – aber auch der menschlichen Naturbeziehung. Deren Interpretation ist von der immer neuen Frage getragen, ob die Technik der Natur entgegensteht, oder eins ihrer Entwicklungsmuster ist.

Der Workshop soll sowohl den theoretischen Hintergrundfragen als auch empirischen Analysen und Fallstudien Raum geben. Fallstudien können aus allen Bereichen stammen, in denen Fehlentwicklungen überraschende Potentiale für Gestaltungsprojekte freigesetzt haben. Neben Umweltprojekten im engeren Sinn – Renaturierung, Revitalisierung, Rekultivierung, Sanierung, Rückbau – kommen die Bereichen Siedlungswesen, Verkehr, Tourismus, Gesundheit und andere in Frage. Weiterhin werden die Entwicklungen der "pervasiven" und "invasiven" Technologien auf das Wechselspiel zwischen Eliminierung naturaler Bestände, der Errichtung neuer technologischer Kontrollzonen und Rückkehr der "zweiten" Natur beobachtet. Auch sind Analysen, die sich direkt auf die Beziehungen von Design und Natur beziehen, willkommen. An theoretischen Hintergrundfragen seien nur zwei herausgehoben, ohne andere auszuschließen: Wie können Wissenschafts-, Technik- und Umweltsoziologie Anschluss an die ökonomisch-philosophisch-ästhetische Diskussion über die schöpferische Zerstörung gewinnen? Wie kann in einer Zeit, die von Forderungen zur Nachhaltigkeit, Zukunftsfähigkeit und Governance geprägt ist, der Mutwillen der Zerstörung, die Chance des Versagens und die kreativen Impulse der Überraschung, wenn nicht begründet, so doch zumindest neu reflektiert werden?

Einsendungen von Abstracts von ca. 300 Worten werden bis zum 15. März 2009 erbeten an:
Wolfgang Krohn (wolfgang.krohn(at)uni-bielefeld.de) und
Matthias Groß (matthias.gross(at)ufz.de).