Deadline: 15.06.2024
Der Begriff der Aufmerksamkeitsökonomie konzeptualisiert Aufmerksamkeit als ein knappes Gut. Das Vermögen von Subjekten, Aufmerksamkeit auOringen und empfangen zu können, wird dabei als eine wertvolle Ressource betrachtet, die ähnlich begehrt ist wie ökonomisches Kapital. Begriffe wie ReputaSon, PresSge, Prominenz oder Ruhm können dabei als Spielarten der auf Selbstwertschätzung zielenden Ökonomie der Aufmerksamkeit verstanden werden (Franck 1998, Steuerwald 2022).
Psychologische oder informaSonsökonomische Engführungen lassen dabei übersehen, dass (die Konkurrenz um) Aufmerksamkeit eine zuSefst soziale Angelegenheit ist. Entsprechende Hinweise finden sich schon in klassischen Texten der Soziologie. Gegenüberstellungen wie Alltäglichkeit - Außeralltäglichkeit (Durkheim) tragen aufmerksamkeitstheoreSsche ImplikaSonen in sich. Das Gleiche gilt für Konzepte wie das der RouSne und des Interesses (Schütz), der Zerstreuung (Krakauer) oder des raSonalen Handelns (Weber). Sie adressierten neben anderem immer auch Formen der Steigerung oder der Verringerung von Aufmerksamkeit, die Sozialem innewohnen. Wer oder was mit Aufmerksamkeit bedacht wird, ist dabei wesentlich geprägt durch sozialstrukturelle Faktoren wie Geschlecht, Bildungsstand und Milieuzugehörigkeit, aber auch durch das jeweilige soziale Feld, in dem man sich bewegt.
Zeitgenössischen Autor:innen gilt Aufmerksamkeit darüber hinaus als Schlüsselkategorie für das Verständnis moderner Gesellschagen (Schroer 2014). Die Tatsache, dass vor allem Nichtgewöhnliches und Unerwartetes Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen vermag, wird in einer Gesellschag, die sich konsStuSv auf die Hervorbringung vom Neuem und InnovaSvem verlegt hat, zu einem höchst relevanten Faktor. Kunst ist hier auf spezifische Weise eingebunden. Zum einen gilt das künstlerische Feld in der westlichen Moderne seit dem 19: Jahrhundert als eines der maßgeblichen Arenen bei der Infragestellung gesellschaglicher KonvenSonen und der Hervorbringung von InnovaSonen. Darüber hinaus haben auf das Neue zielende ästheSsche PrakSken in Gestalt des KreaSvitätsdisposiSvs eine weit über das künstlerische Feld hinausweisende Verbreitung erfahren. Dabei wird das Neue nicht als Fortschrii oder quanStaSve Steigerung erfahren, sondern als ein "perzepSv-affekSv wahrgenommener und posiSv empfundener Reiz" (Reckwitz 2012). Im Ergebnis insStuSonalisiert sich hier ein Aufmerksamkeitsregime, das Rezipient:innen in besonderem Maße für eben diese Reize sensibilisiert. Auf das Paradox einer Normalisierung der dauernden Hervorbringung des Überraschenden, Unberechenbaren haie in den 1990er Jahren schon Gerhard Schulze mit seiner These von der Erlebnisgesellschag hingewiesen.
Für die Kunst stellen sich damit eine Reihe von Fragen und Herausforderungen. Neben allgemeinen Fragen, die den Zusammenhang von Kunst und Aufmerksamkeit untersuchen, interessieren uns folgende Fragen:
Wie wird in der Kunst Aufmerksamkeit hergestellt? Welche Strategien lassen sich von welchen Akteuren beobachten? Können Muster festgestellt werden, die die Arbeit an der Aufmerksamkeit erfolgreicher werden lässt?
Warum ist Aufmerksamkeit ungleich verteilt? Warum bekommen einige mehr und andere weniger?
Wie lässt sich angesichts eines auf die Gesamtgesellschag hin ausgedehnten ImperaSvs des ästheSsch Neuen Kunst noch als Kunst idenSfizieren?
Verändern sich unter diesen Prämissen die Strategien zur Herstellung von Aufmerksamkeit im Feld selbst - etwa in Form von anderen Inszenierungsweisen, KommunikaSonsformen oder MarkeSngstrategien?
Wenn Events und Strategien der EvenSsierung eine Antwort in der Konkurrenz um Aufmerksamkeit sind, fügen sich Kunstbiennalen und -fesSvals umstandslos in diese Logik ein?
Welche Rolle spielen Skandale und Versuche der Skandalisierung im Kontext der Aufmerksamkeitsökonomie? Welche feldspezifischen oder auch gesamtgesellschaglichen Veränderungen zeigen sich möglicherweise in den Kunstskandalen der letzten Jahre, worauf wird hier die Aufmerksamkeit gelenkt?
Welche kunstspezifischen Diskurse reagieren auf Fragen der Aufmerksamkeitsökonomie? Gibt es künstlerische Arbeiten, die dies reflexiv einholen?
Abstracts sollten nicht mehr als 400 Wörter umfassen und die Fragestellung bzw. das Erkenntnisinteresse, den theoreSschen Ansatz, die verwendete Methodik sowie die Ergebnisse skizzieren.
Der Vorschlag ist bis zum 15.06.2024 per E-Mail an folgende Kontaktadressen zu senden: karstein@uni-leipzig.de und christian.steuerwald@uni-bielefeld.de.
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Ein Tagungsband ist angedacht.