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Call for Papers: 'Phänomenologie der Technik und das Soziale'

7. Jahrestagung des Interdisziplinären Arbeitskreises für Phänomenologien und Soziologie (IAPS) der DGS-Sektion ›Soziologische Theorien‹ am 15./16. Juni 2023 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Die Technik, wie sie sich im Bewusstsein, in der Anwendung, in der Interaktion und in gesellschaftlichen Situationen zeigt, bildet ein ebenso grundlegendes wie derzeit hochaktuelles Thema der Phänomenologie und Soziologie, dem sich diese Tagung auf verschiedenen Ebenen widmen möchte.

Bereits in der frühen Phänomenologie taucht das Technische in unterschiedlichen Formen auf – bei Husserl als Naturwissenschaft jenseits der Lebenswelt, bei Heidegger als instrumenteller Hammer, der allerdings hinter der Praxis verschwindet, oder bei Merleau-Ponty als materielle Hutfeder, derer sich die Trägerin als Vergrößerung des Körpers bewusst wird. Don Ihde nimmt diese drei Gründungsszenen als Basis seines Konzepts der Postphänomenologie. Darin zeigt er, dass die Technik immer schon Teil der Lebenswelt ist und betrachtet dazu einerseits leibphänomenologisch das Verhältnis zwischen Körper und Technik im Weltzugang und andererseits pragmatistisch die situative Bedeutung von Technik.

Im Rahmen der philosophischen Anthropologie wird Technik in unterschiedlicher Weise thematisiert. Ausgehend vom Mängelwesen mit Weltoffenheit wird Technik ebenfalls als Erweiterung des Körpers behandelt, zum anderen als künstliche Form (Plessner), die die Umweltbeziehung exzentrischer Wesen vermittelt. Insofern ist sowohl der Welt- als auch der Selbstbezug von leiblichen Akteuren technisch vermittelt. Die Technik eröffnet damit neue Handlungs- und Erfahrungsdimensionen, erscheint als ernstzunehmendes Gegenüber und stößt Reflexionen an, bildet zuweilen sogar autonome kybernetische Systeme, in denen Menschen dezentriert werden. Die Grenze zwischen Mensch und Maschine wird in den verschiedenen Formen auf je andere Weise virulent und leitet auch zu Analysen um die Grenzen des Sozialen über.

Soziologisch relevant sind insbesondere die verschiedenen Verhältnisse, die mit den technischen Formen erzeugt werden. Auf der Ebene des Körperlichen erweist sich Schmitz‘ Konzept der wechselseitigen Einleibung und darauf aufbauende Analysen in der Neophänomenologischen Soziologie als fruchtbar. Interaktionstheoretisch betrachtet bildet Technik eine Vermittlungsposition, einen gemeinsamen Referenzpunkt für soziale Akteure oder rahmt atmosphärisch ganze soziale Situationen. Eingebettet sind solche Verhältnisse in eine von mehreren Akteuren getragene, rekursive Technikentwicklung (Lindemann) in der Gebrauchsvorschläge enthalten sind, die angeeignet und in digitalen Zeiten wieder zurückgespielt werden. Und wenn Technologien auch weiterhin das Ergebnis sozialer Konstruktions- und Deutungsprozesse sind, haben sie situativ eine eigenständige Bedeutung und mit den neuen Automatisierungsmöglichkeiten das Potenzial, die Subjekte herauszufordern. Dies kann sowohl zu einer Art promethischer Scham (Anders) als auch einer gesteigerten Reflexivität führen.

Im Anspruch, die Rolle technischer Entitäten in gesellschaftlichen Prozessen adäquat zu erfassen, treffen sich die Akteur-Netzwerk-Theorie und eine (post-)phänomenologische Soziologie, wobei letztere das leiblich verfasste und erlebende Selbst als letzten Bezugspunkt behält. Daraus folgt die Frage, was die Nutzung der verschiedenen Technologien für die Vorstellungen von Umwelt, von Subjektivität und Intersubjektivität sowie schlussendlich von sozialer Ordnung bedeutet.

Das Ziel der Tagung besteht darin, sich systematisch an Antworten auf diese Frage zu nähern. Im Sinne des Arbeitskreises sollen verschiedene Phänomenologien und entsprechende soziologische Weiterentwicklungen genutzt werden, um interaktions-, sozial-, aber auch gesellschaftstheoretische Ansätze zu diskutieren, auf konkrete Phänomenbereiche hin angewendet zu werden und auch mit methodologischen Überlegungen und methodischen Konzepten beizutragen. Entsprechend ließen sich Teilfragen wie die folgenden als Orientierung formulieren:

  • Welche Perspektiven auf Technik bestehen in der Mundan-, Neo- und Postphänomenologie, und welche Konsequenzen leiten sich davon ab?
  • Wie lassen sich die einzelnen Phänomenologien in Hinblick auf eine soziologische Technikforschung anwenden?
  • In welchem Verhältnis stehen diese Ansätze zur Philosophischen Anthropologie, zum Pragmatismus, zur Akteur-Netzwerk-Theorie, zu den Science and Technology Studies und zur Techniksoziologie?
  • Welche sozialtheoretischen Annahmen und gesellschaftstheoretischen Potenziale lassen sich erkennen?
  • Welche sozio-technischen Phänomene kommen vor dem Hintergrund der phänomenologischen und soziologischen Perspektiven in den Fokus? Welche andere gilt es zu erschließen?
  • Welche methodologischen Überlegungen sind mit den Ansätzen verbunden und wie lassen sich diese als Methoden der empirischen Sozialforschung umsetzen?
  • Wie könnte der ausgerufene aber kaum eingelöste Anspruch eines empirical turn aussehen?
  • Welche empirischen Erkenntnisse bestehen zum technischen Einfluss auf Selbst-, Subjekt-, Sozial- und Wirklichkeitsverständnisse?

Wir freuen uns auf Beitragsvorschläge für die in Präsenz geplante Tagung. Senden Sie bitte die Abstracts im Umfang von bis zu zwei Seiten bis zum 28.02.2023 an Gesa Lindemann (gesa.lindemann(at)uni-oldenburg.de) und Alexander Schmidl (alexander.schmidl(at)fau.de). Sie erhalten bis zum 20.03.2023 eine Rückmeldung über die Annahme oder Ablehnung.