Religiöse Praktiken, Rituale, Zugehörigkeiten und Kommunikationsformen haben stets eine räumliche Dimension: Das Ritual der Heiligsprechung im Katholizismus, die Organisation von Mitgliedschaften in den deutschen großen Kirchen oder auch die Entstehung esoterischer Milieus sind durch ihre Verräumlichung geprägt. Veränderungen räumlicher Konfiguration in der Gegenwart beeinflussen somit auch religiöse Dynamiken. Daraus ergeben sich eine Reihe wichtiger Fragen: Wie verhält sich Religion zu Prozessen der Globalisierung und der Neuverräumlichung der Welt, zur Dialektik von Deterritorialisierung und Reterritorialisierung? Auf welche Weise tragen Codes religiöser Zugehörigkeit zur Bildung neuer, entgrenzter Netzwerkräume und neuerlichen nationalen Begrenzungen und Grenzregimen bei?
Die Religionssoziologie, die stets auch mit einem Denken in nationalstaatlichen Kategorien verbunden war, ist damit herausgefordert die Räume, in denen die Entwicklung von Religiosität beobachtet wird zu überdenken (Pruisken 2023). Die einem methodischen Nationalismus inhärente Annahme, dass "politisch gesetzte Grenzen für alle anderen Gesellschaftsbereiche gleichermaßen gelten" (Schimank 2005: 395) übersieht oft die zeitgleiche Existenz verschiedener räumlicher Ordnungen innerhalb und zwischen Nationalstaaten: zwischen Metropolregionen und ländlichen Räumen, zwischen den territorialen Räumen der Zugehörigkeit und seinen multiplen Skalierungen einerseits und medialisierten Räumen andererseits (Berger 2014; Berking et al. 2018; Meyer 2009).
Ob sich religiöse Bewegungen und Gemeinschaften an einem Ort etablieren können, hängt dabei maßgeblich von den jeweiligen infrastrukturellen, sozialen und kulturellen Bedingungen ab, die diesen Ort prägen (Burchardt 2022, 2021). Die Materialität des Raumes strukturiert die Erzeugung religiöser Erfahrungen und konstituiert religiöse Rituale, Performances und "Atmosphären" (Gugutzer 2020). Zugleich refigurieren digitale Plattform-Infrastrukturen räumliche Ordnungen: Durch die Herstellung digitaler Räume wird die Unterscheidung zwischen real und virtuell zunehmend zentral für gesellschaftliche wie auch religiöse Diskurse.
Vor diesem Hintergrund stellen sich zwei grobe Fragerichtungen. Die erste ist die nach dem Verhältnis räumlicher Strukturierungen und Religion:
- Wie konstituieren räumliche Konfigurationen und Bedingungen religiöse Erfahrungen, Praktiken, Rituale und Orientierungen?
- Welche Raumordnungen wirken sich produktiv oder hinderlich auf religiöse Mobilisierungsprozesse aus?
- Wie prägt Religion öffentliche Räume? Wie verändert sich das Religiöse durch sich wandelnde Raumlogiken?
- Wie verändert die Digitalisierung das Verhältnis von Raum und Religion?
Die zweite Fragerichtung bezieht sich auf methodologische Fragen:
- Wie lassen sich religiöse Raumordnungen mit qualitativen Methoden vergleichen?
- Inwiefern ermöglicht die Erschließung von Geodaten oder digitalen Verhaltensdaten die Konstruktion räumlicher Variablen, die in der quantitativen Religionsforschung Verwendung finden könnten?
Wir freuen uns über Vortragsvorschläge aus der Soziologie und angrenzenden Disziplinen, die sich dem wechselseitigen Verhältnis von Raum und Religion auf der Basis unterschiedliche methodischer Zugänge nähern. Einreichungen mit Vortragstitel, Abstract von max. 250 Wörtern sowie einer kurzen biographischen Angabe schicken Sie bitte bis zum 30. April an Insa Pruisken (pruisken(at)uni-bremen.de) und Marian Burchardt (marian.burchardt(at)uni-leipzig.de). Informationen zur Annahme von Beiträgen verschicken wir bis zum 15. Mai. Die Tagung findet vom 30.-31.10.2023 an der Universität Bremen statt.