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›Widersteht nicht dem, der böse ist …‹ (Mt 5,39) – Religionen zwischen Krieg und Frieden

Dass Religionsgemeinschaften im außenpolitischen Geschehen nicht selten eine gewichtige Akteursrolle zukommt, ist ebenso wenig umstritten wie die Tatsache, dass sich religiöse Überzeugungen und Identitäten in der Arena der internationalen Beziehungen in höchst divergenter Manier auswirken können. Die gerade seit dem Ukrainekrieg wieder hochaktuelle Frage, inwieweit Religionen eher als Brand- denn als Friedensstifter (oder zumindest als Brandbeschleuniger) auftreten, hat dabei nicht erst durch die Kriegstreiberei der Russisch-Orthodoxen Kirche neue Brisanz erhalten. Stattdessen lassen sich im Weltgeschehen eine Vielzahl von gewaltsamen, ja kriegerischen Auseinandersetzungen anführen, bei denen im Namen der Religion zu den Waffen gegriffen wird und/oder (selbsternannte) Gotteskrieger politische Morde und Attentate begehen. Insbesondere der religiös-fundamentalistische Terrorismus ist dadurch zu einer erschreckenden Normalität unserer Epoche geworden. Gleichzeitig demonstrieren interreligiöse Netzwerke wie Religions for Peace gemeinsam mit zahlreichen einschlägigen Initiativen aus den diversen Weltreligionen, dass alle Religionsgemeinschaften nicht nur aktiv eine unmissverständliche Friedensbotschaft aussenden, sondern auch als vermittelnde Akteure in regionalen und lokalen Konflikten von signifikanter Bedeutung sind.

Jene Ambivalenz spiegelt sich genauso in den heiligen Schriften, die wie die jüdische, christliche oder islamische Offenbarung einerseits explizit zur Versöhnung aufrufen und dazu ›Schwerter zu Pflugscharen umschmieden‹ (Mi 4,3), ›die andere Wange hinhalten‹ (Mt 5,39) bzw. zur ›Friedfertigkeit‹ einladen (Sure 2,208, Sure 8,61) wollen, mit denen andererseits jedoch auch Gewalt verherrlicht (Jos 6), der Frieden negiert (Mt 10,34) und Ungläubigen gedroht wird (Sure 2,191, Sure 9,5) – historisch begleitet von kriegerischen Handlungen, Expansionen oder Kreuzzügen, welche aus religiösen Motivationen heraus unternommen wurden.

Die Veranstaltung fragt grundsätzlich nach den Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen sich das offensichtlich vorhandene Gewalt- und Friedenspotenzial von Religionen konkret entfaltet. Hängt dies womöglich einfach davon ab, wie einzelne Personen und Gruppen die religiösen Quellen interpretieren wollen? Oder beeinflussen spezifische säkulare – politische, soziale oder psychologische – Faktoren, welche Lesart sich schließlich realisiert oder durchsetzt? Wie (selektiv) gehen religiöse Appelle für Krieg oder Frieden mit den eigenen Glaubensquellen um, die jeweils eine Gegenbotschaft implizieren? Und sind es tatsächlich eigene Wahrheits- und Machtansprüche, die instrumentalisiert werden, wenn religiöse Akteure Gewalt und Krieg legitimieren oder selbst zur Kriegspartei werden?

Vor dem Hintergrund jener allgemeinen Überlegungen und Problemkreise werden in erster Linie Abstracts erbeten, die die konkrete Rolle von Religionsgemeinschaften und religiösen Akteuren in historischen und aktuellen politischen Krisen- und Konfliktsituationen beleuchten und analysieren. Zu fragen ist dabei u.a., mit welchen religiösen Argumentationsstrukturen diese ihr friedensstiftendes oder gewaltrechtfertigendes Potenzial artikulieren und unter welchen Umständen eigentlich (geo-)politische oder ökonomische Konflikte in der öffentlichen Wahrnehmung in religiös motivierte Auseinandersetzungen übergehen. Ein zweiter Themenkomplex, für den wir um Vortragsvorschläge bitten, betrifft die Frage, mit welchen weiteren ideologischen – demokratischen oder autoritären, universalen oder nationalistischen, humanitären oder rassistisch-sexistisch-diskriminierenden – Quellen und Denkmustern sich religiöse Argumente gegebenenfalls amalgieren, um im Resultat Krieg oder Frieden zu begründen. Welche Zusammenhänge sind hier zwischen den in der Bevölkerung verbreiteten religiösen und ideologischen Einstellungen festzustellen? Und inwieweit implizieren politische Kriege und bewaffnete Konflikte ganz grundsätzlich ethische Dilemmasituationen, die eine sakrale Rechtfertigung des Geschehens als ,gottgewollt‘ erleichtern oder sogar erfordern? Ein dritter Bereich legt abschließend den Fokus allgemein auf das Verhältnis von Religionen zur Gewalt bzw. zu Gewaltverzicht und Pazifismus. Wie lässt sich die zu beobachtende Gewaltaffinität von Religion theoretisch erläutern? Welche friedensethischen Konzepte und Traditionslinien haben die verschiedenen Weltreligionen im Gegensatz dazu entwickelt und wie können die Idee und die Anforderungen eines nachhaltigen Friedens davon profitieren und helfen, einschlägige Konfliktsituationen dauerhaft zu überwinden?

Die ambivalente Stellung der Religionen zwischen Krieg und Frieden ist bestenfalls aus den interdisziplinären Perspektiven der Politikwissenschaft, Soziologie, Theologie, Philosophie der Friedens- und Konfliktforschung sowie der Religions- und Geschichtswissenschaft zu erörtern. Ebenfalls sind synchrone und diachrone Vergleiche sowie eine möglichst breite Palette an untersuchten Akteuren und Gruppen ausdrücklich erwünscht. Eine Veröffentlichung der referierten Tagungsbeiträge als Sammelband oder Special Issue einer Fachzeitschrift ist geplant.